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bung ihren Gegenstand eingliedert. Der Naturalismus hat daher die
Neigung, seine Gegenstände zu zersplittern, zu atomisieren!
Die Gegenständlichkeit der realistisch-naturalistischen Stile ist
demnach oberflächenhaft und atomistisch, jene der Klassik dagegen
ideenhaft-metaphysisch und aus dem Ganzen begründet.
Das ist der Grund dafür, daß die realistische Kunst zu allen Zei-
ten platt und seicht; die klassische überall tief, von innerem Geistes-
schwunge getragen und vom Geheimnisse der die Dinge beseelenden
Idee umglänzt ist.
Die ganzheitlich-ideenhafte und die realistische, das ist ober-
flächenhafte Gegenständlichkeit, unterscheiden sich wie Himmel
und Erde, wie Götter und Dämonen.
β.
Das Romantische
Die Eingebung des romantischen Künstlers tritt, so können wir
das früher Gesagte auch bestimmen, in einem anderen Zusammen-
hange auf als die des klassischen Künstlers: zugleich im Zusammen-
hange des diesseitigen Lebens und des, erst gesuchten, oft auch
gefundenen, jenseitigen. Gerade dieses Suchen, Sehnen, Hadern und
Streben ist es nun, was die Eingebung und ihre Eingliederung in
der Romantik kennzeichnet! Zwar werden die Dinge ebenfalls, wie
in der Klassik, grundsätzlich von ihrem intelligiblen Grunde, ihrer
Seele und Innerlichkeit her aufgefaßt; jedoch mit einem wechselnd
i c h h a f t e n E i n s c h l a g e !
Nehmen wir hier schon ein Beispiel vorweg, so brauchen wir nur
an das Märchen von „Hyazinth und Rosenblüte“ von Novalis in
seinen „Lehrlingen von Sais“ zu erinnern. Der Jüngling Hyazinth
zieht hinaus in die weite Welt. Die Sehnsucht treibt ihn, der Welt
auf den Grund zu kommen, nachdem er von einem Fremdling
„wunderbare Sachen“ von fremden Ländern vernommen hatte und
mit ihm „in tiefe Schachten hinuntergekrochen“ war. „ . . . Dahin,
wo die Mutter der Dinge wohnt, die verschleierte Jungfrau“ (die
Göttin von Sais), dahin will er ziehen. Er erreicht das Ziel, hebt
den Schleier und — Rosenblüte fällt in seine Arme. — Das erläutert
Novalis in dem bekannten, tiefsinnigen
1
Distichon (das zugleich
eine geniale Erläuterung der Wissenschaftslehre F i c h t e s ist):
1
bereits erwähnten, hier ausnahmsweise nochmals angeführten