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b. B e i s p i e l e
α.
Klassik
In der Dichtkunst fallen als Beispiele gegenständlicher Behand-
lung in die Augen: Homer, die griechischen Tragiker, Dante, die
Spanier (die aber auch romantische Einschläge zeigen, wie Cervan-
tes und Calderon), besonders aber Shakespeare, Goethe und Schiller
(etwa seit dem „Wallenstein“).
Wir weisen zuerst auf Goethe hin. Seine Dichtung wurde von
jeher als gegenständlich empfunden; und zwar im oben erklärten
Sinne der Begründetheit des Gegenstandes auf seiner platonischen
Idee, worin eine Synthese von Ich und Gegenstand erreicht ist. —
In jenem berühmten Briefe Schillers an Goethe (vom 23. August
1794), in welchem dieser von „freundlicher Hand“ die „Summe sei-
ner Existenz“
1
gezogen fand, spricht Schiller tiefblickend von Goe-
thes „beobachtendem Blick, der so still und rein auf den Dingen
ruht“
2
. — Und Wilhelm von Humboldt schreibt am 25. Juni 1796:
Goethe vermöge „die wahre Beschaffenheit der Gegenstände rein in
sich aufzunehmen und sie immer wieder gleich treu in seiner Ein-
bildungskraft darzustellen“.
Goethe selbst äußert sich öfters in ähnlichem Sinne, so z. B. zu
Eckermann am 6. Mai 1827:
„Es war im Ganzen nicht meine Art, als Poet nach Verkörperung von etwas
Abstraktem zu streben. Ich empfing in meinem Inneren Eindrücke, und zwar Ein-
drücke sinnlicher, lebensvoller, lieblicher, bunter, hundertfältiger Art, wie eine
rege Einbildungskraft (also Eingebung) es mir darbot; und ich hatte als Poet
weiter nichts zu tun, als solche Anschauungen und Eindrücke in mir künstlerisch
zu runden und auszubilden und durch eine lebensvolle Darstellung... zum Vor-
schein zu bringen“
3
.
Dem Zug zur Gegenständlichkeit in Goethes Dichtung entspricht
auch der oben angeführte „Fischer“ sowie das bekannte Lied
Lynceus’, des Türmers, im Faust
4
:
1
Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, Bd. 1, 4. Aufl., Stuttgart 1881, S. 7.
2
Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, . . . , S. 5, Zeile
6
f.
3
Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe, Bd 1, Teil 3, Leipzig 1914,
S. 100.
4
Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke, Bd 10, Stuttgart, S. 359.
15 Spann, 19