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ständliche in Schillers „Jungfrau“ ist, um es ganz bestimmt zu sagen,

dadurch in einzigartiger Weise gegeben, daß sie den A u f t r a g

v o n o b e n entgegennimmt (der ihr später entzogen wird, wor-

über unten mehr). Dadurch ist nicht nur ein tiefer Blick in das

Wesen der Geschichte getan, es ist auch eine fast greifbar sichere

Gegenständlichkeit erreicht. Und dem Gemüte der Jungfrau ent-

spricht dieser Auftrag so sehr, daß man versuchte, die gesamte

Handlung folgerichtig allein daraus abzuleiten. Diese „seelenkund-

liche“ Erklärung, aus einer Einbildung nämlich, ist allerdings grund-

falsch, da die metaphysische Kraft zuletzt die höhere, stärkere ist,

daher den Vorrang hat. Daß eine solche Erklärung überhaupt ver-

sucht werden konnte, beweist aber die starke Gegenständlichkeit

und Lebensfülle, welche Schiller dem Drama gab.

Die metaphysische Begründetheit alles Gegenständlichen in der

klassischen Kunst bedingt überall jene zweifache Gliedhaftigkeit der

Grundeingebung, ihr Enthaltensein in Welt und Uberwelt zugleich,

welche wir schon bei Shakespeare als stilbegründend bezeichneten.

Durch sie allein wirkt alles Naturhafte nicht platt und alles Über-

natürliche nicht unecht.

Kehren wir zu Goethes „ F a u s t“ zurück, so finden wir nun

auch da ein gleiches Wechselspiel von Himmel und Erde, Gott und

Natur, Seele und Schicksal die Gegenständlichkeit wahrhaft bestim-

mend. Man kann auch hier die Sache so ansehen, als folge alles aus

der innersten Gemüts- und Gesinnungsart Faustens; zugleich zeigt

sich aber alles als von oben gelenkt (das ist in höchster Rückver-

bundenheit). Die Eingebung vom Wesen eines Menschen nach Art

des Faust zeigt sich in einer Gegenständlichkeit, welche nicht nur

durch die Naturseite (die hier der Charakter wäre), sondern auch

und noch mehr durch die metaphysische Seite bestimmt wird. Auch

hier sehen wir demnach jene zwiefache Gliedhaftigkeit, welche seit

Shakespeare den klassischen Kunststil in der Neuzeit begründet. Das

Eingangsgespräch zwischen dem Herrn und Mephisto ebenso wie

der Schluß des zweiten Teiles (um nur diese zu nennen) zeigen

deutlich die Lenkung von oben, welche nun gleichsam als ideenhafte

Triebkraft in dem Gegenständlichen des Charakters unsichtbar ent-

halten ist.

Gehen wir von der Dichtung zur M a l e r e i u n d B i l d -

n e r e i über, so bieten sich als Beispiele des klassischen Stils von