Table of Contents Table of Contents
Previous Page  8300 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 8300 / 9133 Next Page
Page Background

240

und der Gottdurchdrungenheit auf die Stirne gedrückt ist und ein

überirdischer Glanz von ihnen ausgeht.

Sobald diese Bestrebungen eine gewisse m y s t i s c h e S t u f e

erreichen, überhöhen sie beide, die klassische und die romantische

Kunst, und führen den menschlichen Geist näher zum Ziele, als jede

andere Kunst- und Stilrichtung es vermöchte!

Zeugnis dessen ist ja gerade die Gotik, die durch keinen Stil in

der gesamten Kunstgeschichte der Welt übertroffen wird.

Eigene B e i s p i e l e für die Rückverbundenheit klassischer

wie romantischer Dichtung neben den früher gegebenen noch an-

zuführen ist nicht nötig.

Die Klassik ist vollkommener, die Romantik urtümlich-mensch-

licher.

Darum laßt uns die Romantiker feiern als jene Menschen, welche

alle Zeit dem Vogel P h ö n i x zu vergleichen sind, der, s c h o n

i n S t a u b g e s u n k e n , zu neuem Leben, n e u e m Licht sich

erhebt.

Durch E n t f a c h u n g i n n e r e n F e u e r s , durch innere

E r w e c k u n g allein ist dieses Ziel erreichbar; — ein Ziel, das

das U n e n d l i c h e selbst ist!

Hier treffen R o m a n t i k u n d h o h e M y s t i k zusammen.

In unvergleichlicher Genialität schildert diesen Weg ins Unend-

liche G o e t h e in seinem „West-östlichen Diwan“

1

.

Daß du nicht enden kannst, das macht dich groß,

Und daß du nie beginnst, das ist dein Los.

Dein Lied ist drehend wie das Sterngewölbe,

Anfang und Mitte immerfort dasselbe,

Und was die Mitte bringt, ist offenbar

Das, was zu Ende und anfangs war.

1

Goethe verteidigt hier Hafis und sich selbst gegen den Vorwurd des Orien-

talisten van Hammer, daß es dem Dichter an künstlerischer Einheit fehle: „Anfang

und Ende ist immer dasselbe.“ Goethe sieht darin im Gegensatz zu Hammer das

Zeichen mystischer Tiefe, Wahrheit und Unerschöpflichkeit.