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B. Die g e b r o c h e n e K u n s t
1. Begriff
Gemäß unserem Stilbegriffe, welcher der Eingliederung der Ein-
gebung in einen jeweils gegebenen Geisteszusammenhang bestimm-
ter Prägung eine entscheidende Bedeutung beimißt, muß sich eine
mißleitete Eingliederung der Eingebung oder aber das Fehlen einer
echten Eingebung als Unvollkommenheitserscheinung des Stiles dar-
stellen.
Daher können wir eine solche Kunst verfehlten Stiles auch kurz
gebrochene Kunst nennen.
Wesentlich gehören alle jene Kunstrichtungen hierher, welche
k e i n e metaphysisch-religiöse Grundlage für ihre Eingebungen
und deren Eingliederung in den gegebenen Geisteszusammenhang
haben; — oder überhaupt keine Eingebung tieferer Art!
Wir können das auch noch von einer anderen Seite her klar-
machen.
Wo es an metaphysisch-religiösem Empfinden fehlt, d o r t
f e h l t e s n o t w e n d i g a n d e r T i e f e d e r E i n g e -
b u n g . Dies ist keine leichtsinnige Behauptung! Denn es ist ja
eben das Wesen der Eingebung, durch die äußere Hülle des Dinges
zu seinem verborgenen Grunde, der es tragenden, ideenhaften
Wirklichkeiten vorzudringen. Damit ist aber schon das Übersinn-
liche erreicht, ist demnach wenigstens ein Anfang des metaphysisch-
religiösen Bewußtseins gemacht! Wem die innere Kraft des Vor-
dringens zum ideenhaften Grunde der Dinge fehlt, dem fehlt auch
die Kraft tieferer Eingebung.
Und weiter! Wo es an metaphysischem Empfinden fehlt, dort
fehlt es der Eingebung auch an der notwendigen Gegenwart des
Ganzen im Teile; das heißt: das Ganze der Natur ist nicht in den
einzelnen Dingen; das Ganze der Geisteswelt, und damit zugleich
der Uberwelt, befaßt und hält nicht alles geistige Geschehen. Die
Naturdinge und die Geisteserscheinungen werden daher auch nicht
in diese höchsten Zusammenhänge eingegliedert; wie sie umgekehrt
von ihnen nicht befaßt, rückverbunden erscheinen!
In diesem Sinne muß man sagen, daß die Kunst ohne meta-
physische und religiöse Grundlage tiefer, echter Eingebung kaum
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