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Du bist nicht Rausch - du Stimme des Genius,
Du Anschaun dessen, was uns unsterblich macht,
Und du Bewußtsein jenes Wertes,
Der nur erst einzeln allhier erkannt wird.
Einst wird die Menschheit sein, was Sophie mir
Jetzt ist - vollendet - sittliche Grazie -
Dann wird ihr h ö h e r e s B e w u ß t s e i n
Nicht mehr verwechselt mit Dunst des Weines.
γ. Vergleiche
Diesen Beispielen seien noch einige Gegenüberstellungen hinzu-
gefügt.
Der Unterschied von Romantik und Klassik wird besonders deut-
lich am Gegensatze von M o z a r t u n d B e e t h o v e n . Mo-
zarts Musik ist ideenhaft-gegenständlich (wie auch die Fuge
B a c h s ) ; jene Beethovens ringend, zweifelnd, titanisch an die Pfor-
ten des Schicksals klopfend, zuletzt aber das Ziel der heißen Sehn-
sucht erreichend, Sieg, Besitz des Übersinnlichen, Freude!
Ähnlich kann man in der Malerei L e o n a r d o als durchaus
ideenhaft-gegenständlich manchen Werken M i c h e l a n g e l o s
als mehr ichhaft, also romantisch — z. B. die nackten Gestalten über
den Zwickelschrägen an der Decke der Sixtinischen Kapelle und
den sterbenden Sklaven — gegenüberstellen.
Als Beweis für die Ü b e r g ä n g e vom Klassisch-Gegenständ-
lichen zum Romantischen bei einem und demselben Künstler kön-
nen wir z. B. anführen: bei R e m b r a n d t die „Nachtwache“ als
vollendet klassisch-gegenständlich; dagegen die „Landschaft mit
den drei Bäumen“ als ichhaft-romantisch, fragend und sehnsuchts-
voll. — Ähnlich kann man bei D ü r e r das große Dreifaltigkeits-
bild des Wiener Kunsthistorischen Museums als klassisch dem wun-
derbaren Stiche „Ritter, Tod und Teufel“ als romantisch entgegen-
stellen. — Auch die Werke G r ü n e w a l d s sind im allgemeinen
ideenhaft-gegenständlich, der gekreuzigte Christus im Kolmarer
Altarbild dagegen mutet fragend, aufwühlend, also romantisch an!
Die zeitgenössischen Maler der Romantik P h i l i p p O t t o
R u n g e u n d D a v i d C a s p a r F r i e d r i c h , später so-
dann M o r i t z v o n S c h w i n d weisen alle auch gegenständ-
liche Einschläge in ihre Romantik auf!
In der B a u k u n s t i s t d i e G o t i k einerseits zum Teil als