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ja auch das schamlose Gemachte, welches alle diese Richtungen in

den Kunstausstellungen darzubieten wagen.

Da sich die jüngsten Kunststile selbst vom Leben ausschalteten,

diese „Kunst“ also eigentlich keine gesellschaftlichen Verrichtungen

mehr hat, dürfen sich die Künstler nicht wundern, wenn ihre ent-

wurzelten Werke nicht mehr gekauft werden.

Wer wird sich z. B. ein Bildnis von einer Art, wie man sie vor

etwa dreißig Jahren zu malen anfing, in sein Zimmer hängen? Die

scheußlichen Fratzen vieler sogenannter Bildnismaler beruhen weder

auf Eingebungen, welche das wahre Wesen des Menschen durch-

schauten, noch auf Gestaltungskraft; vielmehr auf äußerlichen

Kniffen wie z. B. dem, den Unterschied zwischen der rechten und

linken Gesichtshälfte maßlos zu übertreiben, wodurch wohl eine

gewisse Ähnlichkeit erhalten, aber vom Wesen des abgebildeten

Menschen nichts mehr übrig bleibt.

Alles Angeführte macht auch die überaus primitive, geradezu

zynische Weise, welche heute nicht selten in der Kunst hervortritt,

begreiflich. Aber wie tief gefallen muß nicht eine Zeit sein, in wel-

cher sich die rohbesudelnde Art, Tollheit und Abgebrühtheit, die

sich oben an dem Beispiele der Dadaisten und Futuristen zeigte,

offen hervorwagen darf. Es ist nicht nur eine entgottete, es ist auch

eine ruchlose, frevelhafte Kunst, mit der wir es seit fünfzig Jahren

zu tun haben. Ihr gegenüber gelten Schillers Worte:

Dem Verdienste seine Krone,

Untergang der Lügenbrut.

Z u s a t z ü b e r d e n e r h a b e n e n S t i l H o m e r s

Der Kunststil Homers ist erhaben. Er ist es nicht nur an Stellen besonderen

inneren Aufschwunges, sondern auch dort, wo es sich um kleine Dinge des All-

tags handelt; und zwar ohne eine Spur von Künstlichkeit und Gezwungenheit,

dagegen bei bewundernswerter Treue in der Sache.

Homers hoher Stil wird von keinem einzigen Epos der Welt erreicht. Wie ist

das zu erklären?

An dieser Frage muß sich unsere Lehre vom Wesen des Stiles als einer bestimm-

ten Gliedhaftigkeit der Eingebung im jeweilig Vorgefundenen Gesamtgeistes-

inhalt des Künstlers, kurz gesagt in dessen Lebens- und Gestaltgefühl, bewähren.

Wir antworten zuerst, daß Homer ständig mit seinen Göttern lebte; daher

seine stete Feierlichkeit, auch dem Schlichten und sogar dem Dunklen, Bösen

gegenüber!

Das bekannte Wort des altgriechischen Philosophen Thaies: „ A l l e s i s t

m i t G ö t t e r n e r f ü l l t “ kann man für Homer, wie überhaupt für die