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gesamte alte Welt, nicht ernst genug nehmen. Denn nicht nur die Natur war den

Menschen jener Zeiten von göttlichen Mächten belebt, auch das menschliche

Leben und die inneren Regungen der Seele waren, ohne daß die Willensfreiheit

darum aufgegeben wurde, den Göttern offen (wie auch den Dämonen).

Dieses stete Leben des Dichters in der höheren Welt ist die erste, unerläßliche

Voraussetzung zum Verständnis seines Stils. Es läßt selbst uns Kindern der neu-

zeitlichen Naturwissenschaften die anhaltende Höhe und Ergriffenheit verstehen,

welche im Stile Homers zum Ausdrucke kommt.

Von dieser Seite her gesehen ist also, um es zu wiederholen, der erhabene

Stil Homers aus der steten Gliedhaftigkeit seiner Eingebungen und Gedanken

in einer höheren Welt zu verstehen.

Dazu kommt jedoch als zweites, daß Homers Dichtung und Sprache überall

von größter E i n f a c h h e i t u n d U n m i t t e l b a r k e i t , demnach auch

niemals breit, sondern von gedrungener Kürze ist! Nur diese Einfachheit ist ja

auch der Schlüssel dafür, daß Homer sogar im Alltäglichsten den Adel seines

Stiles behaupten kann. Denn Einfachheit und Unmittelbarkeit der Sprache, die

dennoch den Nagel auf den Kopf trifft, hat Gesammeltheit des Geistes zur Vor-

aussetzung. Innere Gesammeltheit aber fordert Schlichtheit und Dichtigkeit des

Ausdruckes zugleich, wie auch die größte Wahrhaftigkeit; daher wir begreifen,

wie dem Dichter Homer jede Gemachtheit vollständig fremd sein muß. Alles

Hochtrabende, Unechte, Gezierte ist damit ausgeschlossen. Der gesammelte Dich-

ter ist immer bei sich selbst, er kann sich nicht zieren und zur Schau stellen.

Beide Gründe, das stete Erfülltsein von der göttlichen Welt und die tiefe

Gesammeltheit des Dichters, die ihn aus einer Art von Entzückungszustand nicht

herauskommen läßt, stimmen zusammen; sie ergänzen einander, machen zu-

gleich heilig und nüchtern.

Beide Gründe führen auf jene innige R ü c k v e r b u n d e n h e i t hin, von

welcher wir das gemeinsame Lebensgefühl der Alten weit mehr durchdrungen

denken müssen, als es die heutige, materialistisch-skeptische Zeit uns nahe legt.

Ist Homers Stil auf solche Weise aus Rückverbundenheit und steter Gesam-

meltheit zu erklären, dann kann auch, so behaupten wir, das M y s t i s c h e

nicht ganz fehlen. In Wahrheit lebt denn auch in Homer mehr Mystik, als die

Oberfläche zeigt. Die Hadesfahrt des Odysseus ist eines der beredtesten Beispiele

dafür: Sie ist unbezweifelbar ein Sinnbild mystischen Lebensganges

1

.

Ein anderes Bild mystischer Zustände ist bekanntlich Licht und Glanz. Daß

die größten Helden eine mystisch-magische Schulung genossen und ihr ihre

Stärke verdanken, wissen wir unter anderem aus germanischen Quellen. Die

Berserker sind von solcher Art. Bei Homer findet sich manche Andeutung dar-

über. So heißt es am Beginne des fünften Gesanges der Ilias:

Jetzo des Tydeus Sohn Diomedes schmückt Athenäa

Hoch mit Kraft und Entschluß, damit vorstrahlend aus allem

Danaer Volk er erschien’ und herrlichen Ruhm sich gewänne.

Ihm auf dem Helm und dem Schild entflammte sie mächtig umher Glut:

Ähnlich dem Glanzgestirne der Herbstnacht, welches am meisten

Klar den Himmel durchstrahlt, in Okeanos’ Fluten gebadet:

Solche Glut hieß jenem sie Haupt umflammen und Schultern,

Stürmete dann ihn hinein, wo am heftigsten schlug das Getümmel.

1

Vgl. mein Buch: Religionsphilosophie, 2. Aufl., Graz 1970, S. 181 f. [= Oth-

mar Spann Gesamtausgabe, Bd 16].