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von jeher besonders teuer. Michelangelos Sybillen, Leonardos
„Abendmahl" und „Mona Lisa“, Dantes „Neues Leben“, Shake-
speares „Sturm“, der Bildungsroman, wie ihn Grimmelshausens
„Simplizissimus“ anbahnte, Goethe in seinem „Wilhelm Meister"
zum erstenmal schuf und später von den Romantikern übernommen
wurde — sie alle, neben den großen Musikwerken von Bach bis
Schubert — bilden eben darum Beispiele des Hohen Schönen, wel-
ches wir auch das S c h ö n - G r o ß e nennen können.
Jede echte Kunst, das sehen wir daraus folgen, muß ihrem eigen-
sten Wesen nach zur Hohen Schönheit hinneigen und zuletzt gar
werden. Denn indem, wie sich zeigte, auch der einfache Gegenstand
in seiner rätselvollen Tiefe an das Göttliche geknüpft ist; und indem
die Eingebung diese Tiefe erreicht, ist nichts mehr von Gewöhn-
lichem an ihm, und die von solcher Eingebung gegründete Schön-
heit wird zur hohen Schönheit.
Zu allem Gesagten können wir noch an das frühere Beispiel von
Goethes „Fischer“ erinnern, welchem, wie Goethe sagte, nur eine
Empfindung des Lockenden des Wassers zugrunde liegt. Aber aus
was für einer Eingebung entsprang diese Empfindung! Sie dringt in
magische, nicht ergründbare Tiefen vor und findet in Nixe und
Fischer die reinen Entsprechungsgestalten dazu — das Hohe Schöne
entsteht!
2. Das Erhabene
Home, Burke, Kant, Schiller trennten das Erhabene vom Schönen,
weil (nach Kant) das Erhabene Achtung, das Schöne dagegen Nei-
gung erwecke. Jedoch in Wahrheit ist das Erhabene eine Art des
Schönen; denn wie könnte es in Wahrheit anders auftreten als
im Mantel des Schönen. Auch ist mit der wahren Achtung stets
auch eine Neigung verbunden.
Das Erhabene ist in seiner Sonderstellung ebenfalls nur von der
Eingebung aus zu erklären: Wenn die Eingebung einen Gegenstand
ü b e r m ä c h t i g e n Inhaltes erfaßt, entsteht das Erhabene. Alles
Übermächtige hat zugleich ein stark hervortretendes Übersinnliches
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