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Statt von „ebenbildlicher“ könnte man in der Tat auch von „treuer“, „genauer“,
„vollkommener“ Gestaltung der Eingebung sprechen; oder von „peinlich fol-
gender Wiedergabe“; von stetem „Festhalten“ der Eingebung durch die Gestal-
tung.
Aber alle diese Begriffe, das „vollkommen“, „treu“, „genau“ usw. werden
gerade durch die Bezeichnung als „e b e n b i l d l i c h“ näher bestimmt, alle
Nebenbedeutungen von „Treue“, „Vollkommenheit“, „Peinlichkeit“ und der-
gleichen mehr, werden vermieden. Darum sprechen wir nicht nur aufs eindeu-
tigste und bestimmteste von „Ebenbildlichkeit“; wir wenden damit auch einen
Begriff der ganzheitlichen Kategorienlehre an; und in deren Geist vollziehen
sich ja alle unsere Untersuchungen.
Das Schöne beruht auf ebenbildlicher Gestaltung des in der Ein-
gebung Empfangenen; und zwar durch die verschiedenen Gestal-
tungsebenen hindurch, wie sie den einzelnen Künsten eigen sind
(und sich früher ergab).
Darnach ist es vor allem wesentlich, festzuhalten, daß die Aufgabe
ebenbildlicher Gestaltung des in der Eingebung Empfangenen in
jeder Kunst m e h r m a l s gestellt ist: So oft die geistige Urgestalt
auf eine andere Ebene übertragen werden muß, so oft muß die
Ebenbildlichkeit gewahrt werden! Das bestimmt sich nach den Aus-
drucksmitteln der betreffenden Künste. Neben den sinnlichen Ebe-
nen von Farbe, Ton, Werkstoff wird daher das Zeitmaß in den
zeitlichen, die Raumabgrenzung in den räumlichen Künsten jedes-
mal ebenbildlich erfolgen müssen: Zeitgestalt, Raumgestalt, Ton,
Tonfolge (Melodie), Licht und Farbe, Farbenzusammenhang (Kom-
plementarität der Farben), Klangfarbe (Instrumentierung), sinnlich-
stoffliche Beschaffenheiten jeder Art, auch der Werkstoffe, Aus-
drucksgebärde (in der Schauspiel-, Vortrags- und Tanzkunst) — sie
alle müssen die Eingebung ebenbildlich wiedergeben; und erst da-
durch werden sie untereinander in reinen Entsprechungsverhält-
nissen stehen, werden sie aufeinander „abgestimmt“ sein.
Der Künstler weiß meistens von dieser Vielfalt der Gestaltungs-
aufgaben wenig; doch zeigt sie sich, sobald Schwierigkeiten auf-
treten, z. B. im Rhythmus, im Reim, in der Farbengebung.
Als ein B e i s p i e l der Ebenbildlichkeit von Zeit- und Ton-
gestalt erwähnten wir schon in anderem Zusammenhange Dantes
großes Gedicht. Es ist in Terzinen abgefaßt, welche in ihren immer
neu fortschreitenden, nie endenden, nie völlig in sich zurück-
kehrenden Verschränkungen ganz dem Drange nach dem Unend-
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