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behandelt Novalis in seinen „Hymnen an die Nacht“ die Nacht
selbst als Sinnbild des Abgründigen der Uberwelt; die Malerei
nimmt oft das Helldunkel, die altdeutsche Malerei den Goldgrund,
auf welchem ihre Bilder schweben, dafür.
Nicht jeder Inhalt kann dem Mystisch-Schönen dienen; aber
mancher kann der beschränkten Gestaltungsfähigkeit des Mysti-
schen insofern entgegenkommen, als in ihm selbst schon Sinnbild-
liches liegt; so z. B. Himmelfahrt und Verklärung (Transfigura-
tion) in der Malerei, die heilige Geschichte und Sage in der Dich-
tung, der gottesdienstliche Zweck des Bauwerkes in der Baukunst.
Indem wir auf Vermittlung und Versinnbildlichung verweisen,
geben wir zugleich zu, daß die Gestaltung des Mystischen selbst der
Einschränkung und Gefährdung ausgesetzt sei; weshalb die for-
menstrenge Kunst, die Klassik, ihr Mystisch-Schönes zumeist in
Bildern verbirgt. Nicht aber geben wir zu, daß es darum kein My-
stisch-Schönes als Kunstgattung gebe. Denn ist auch die mystische
Versenkung selbst, wie gesagt, nicht u n v e r m i t t e l t gestalt-
bar, so kommt die Kunst doch nahe an die Gestaltung heran, und ist
so viel wahr, daß die höchste Schönheit aus dem mystischen Geiste
geboren werde: Die tiefsten Eingebungen können nur aus der in-
nigsten Rückverbundenheit kommen und nur in dieser ihre gültige
Gestaltung finden! Der übersinnliche Glanz der Rückverbundenheit
erfüllt die Schöpfungen dieser Kunst mit höchstem Leben.
Es scheint uns von Bedeutung für die Kunstgeschichtsschreibung,
das zu beachten und das Mystische nicht durch die falsche Meinung,
es sei ungestaltbar, zu vernachlässigen.
b . B e i s p i e l e
Gemäß dieser unserer Auffassung des Mystisch-Schönen finden
wir dasselbe nicht nur dort, wo das M y s t i s c h e s e l b s t der
Gegenstand ist, vielmehr gehört die gesamte h o h e K u n s t
hierher.
Ein besonders lehrreiches Beispiel der ersteren Art scheint mir
die leider zu wenig beachtete mystische Dichtung des jungen
H e r d e r zu bilden.