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künstlerisches G e c k e n t u m zu kennzeichnen ist, wenn es sich

um vollbewußte Pflege und Ausbildung des Unechten dabei handelt.

Beispiele edlen Nachempfindens ohne bewußte Unechtheit sind

der junge Hölderlin und der junge Novalis, soweit sie im Tone

Schillers dichteten. Erst später fanden sie ihren eigenen Ton und

konnten damit natürlich jenen bloß anempfundenen verlassen.

Würde aber damit ein schnödes Spiel getrieben, dann erst ent-

steht jene Ästheterei, welche etwa in den letzten hundert Jahren

ihr Unwesen trieb und treibt.

b .

S c h r i f t s t e l l e r

Eine andere Unterscheidung, welche sich dem Kunstrichter auf-

drängt, läßt sich als Gegensatz von Dichter — Schriftsteller erläu-

tern. Der Schriftsteller in diesem Sinne (auch wenn er nicht nur in

Prosa schreibt, sondern Verse macht) ist der Nachempfindende und

im Grunde mit fremdem Pfunde Wuchernde.

Nicht etwa, daß wir den Schriftsteller verurteilen, wie wir das

beim künstlerischen Gecken tun müssen; im Gegenteile, er ist

dem Geistesleben als kleiner Dichter oder großer Erklärer und

Vereinfacher notwendig und sein ehrliches Streben ist oft überaus

verdienstlich. Jedoch handelt es sich um die Unterscheidung des

Ursprünglichen vom Abgeleiteten, des Selbständigen vom Angereg-

ten und Nachgeahmten; in gewissem Maße auch um jene der

Grundlegung und Ausführung. Dann nämlich ist der Ausführende,

welcher eine von einem anderen vorgenommene Grundlegung zum

Gegenstande seiner Arbeit nimmt, nur Schriftsteller, wenn er bei

der Ausführung und Anwendung keine nennenswerten eigenen

„Gedanken“ beiträgt, genauer gesagt, keine eigenen Hilfseingebun-

gen (die ja zur schöpferischen Weiterführung immer unentbehrlich

sind), sondern lediglich das Übernommene ausbreitet und erläutert.

Dazu gehört allerdings auch Geist, aber nicht unbedingt Ursprüng-

lichkeit.

In diesem Sinne gibt es in a l l e n K ü n s t e n Schriftsteller, in

der Musik (und besonders in dieser!), in der Malerei und Bildnerei,

in der Baukunst, Tanzkunst, Schauspielkunst. Man sagt dann auch

richtig, ein Künstler zeige, was er „gelernt“ habe. Darin liegt eben

das bloß Anempfundene, Angeregte, Nachahmende, daß das Ge-