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Wir können auch sagen, die vollkommene künstlerische Behand-

lung des Gegenstandes decke erst den W i d e r s p r u c h d e s

T e i l e s m i t d e m G a n z e n a u f ; dadurch wird das vom

Ganzen erhellte lichte Schöne in sein Gegenteil, das finstere Schöne

oder Unholdisch-Schöne verkehrt.

Damit ist von anderer Seite her abermals die wichtige Frage ent-

schieden, daß und inwiefern die stilreine Gestaltung des Unholdi-

schen zum Schönen gehöre: Das Unholdisch-Schöne ist zugleich das

Unholdisch-Häßliche!

Das beweisen ja nicht nur unsere oben genannten Beispiele. Auch

solche Werke der hohen Kunst wie die Darstellung des Gorgonen-

Ungeheuers M e d u s a , deren Blick versteinert und deren Haare

Schlangen sind, welche die griechische Kunst seit dem 5. Jahrhun-

dert v. Chr. in ungeahnter Vollkommenheit durchführte, auch sie

beweisen es: Das Unholdisch-Häßliche gehört zum Schönen!

Insofern alle diese Gestalten von Thersites und der Medusa bis zu

Hagen und Richard III. den Glanz der Eingebung an sich tragen

und die Eingebung ebenbildlich in vollkommener Rückverbunden-

heit wiedergeben, sind sie unbedingt zum S c h ö n e n zu rech-

nen; sofern sie aber als Teile des Gesamtganzen der göttlichen

und sittlichen Weltordnung mit dieser im Widerspruche stehen,

insofern aber zur Finsterwelt oder Gegenwelt gehören, sind sie

Glieder des Unholdisch-H ä ß l i c h e n .

Die Kunstphilosophie kann der Aufgabe nicht ausweichen, dem

Urgegensatz des Lichten und des Finsteren fest in die Augen zu

sehen! Die Medusa gegen die lichten olympischen Götter, Herakles

und Siegfried gegen Ungeheuer und Nibelungen, das Heilige gegen

das Böse — diese Gegensätze haben auch in der hohen Kunst ihre

Wirklichkeit und Wahrheit.

Der Glanz der Eingebung, die Ebenbildlichkeit der Gestaltung,

die zu Ende geführte Rückverbundenheit macht die Erscheinungen

des Unholdenreiches zu schönen; der Widerspruch zur lichten Got-

teswelt und reinen Sittlichkeit macht sie zu Unholdischen.

Das ist der Sinn des Doppelnamens eines Unholdisch-Schönen,

das zugleich das Unholdisch-Häßliche ist! Das Haupt der Medusa

ist seelenlos; Goethes Mephisto hat zuletzt doch einen Pferdefuß;

die Undine des Märchens doch einen Fischschwanz! So auch in der

Natur. Der Tiger möge durch Schnellkraft, Schmiegsamkeit und