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stücke hingegen sind überaus sachtreu und beruhen mit auf ge-
nauester Beobachtung — aber sie sind von i n n e n h e r emp-
fangen; und nur darum sind sie unvergängliche Kunstwerke!
Eine besonders hervorzuhebende Abart des Naturalistischen und
Realistischen ist das V e r b r e c h e r i s c h e u n d U n f l ä -
t i g e (Kriminelle und Pornographische). Beides entspringt offen-
sichtlich dem Mangel an Eingebungstiefe.
Das Unflätige verrät den Mangel an Eingebungstiefe dadurch,
daß es die Innigkeit und metaphysische Größe der Liebe durch
naturalistische Hervorhebung von Äußerlichem zu ersetzen sich
erkühnt, so die natürliche Scheu und gebotene Scham verletzt und
das Heiligtum entweiht. Damit wird das Ungewöhnliche herab-
gezogen, das Innere äußerlich — wie immer im Naturalismus. Frei-
lich sagt er an sich genommen Wahres und zuletzt nur Natürliches
aus (falls er nicht in Krankhaftes verfällt); aber diese Scheinkunst
n i m m t d e n T e i l f ü r d a s G a n z e : an die Stelle des
Mysteriums der Liebe tritt das Sinnliche und das Naturhafte, wel-
ches ja nur die werkzeugliche Grundlage der geheimnisvollen Inner-
lichkeit sein soll.
Grundsätzlich dasselbe liegt im Verbrechertume als Gegenstand
der Kunst vor. Eigener Eingebung bedarf es da meistens nicht. Die
innere Leere und Niedrigkeit liegt am Tage, das Oberflächliche und
Seichte füllt diese „Kunst“ gänzlich aus!
So finden wir in allen Arten den Naturalismus und Realismus als
eine Kunst, welche nicht imstande ist, ihren Gegenstand von innen
heraus zu gestalten, daher am Äußeren hängen bleibt. Es fehlt an
innerem Mitleben mit dem Gegenstand, an Tiefe der Eingebung.
Wo aber der Glanz der Eingebung verlischt, trübt sich das
Schöne.
In verschiedenen Zusammenhängen führten wir bereits genügend Beispiele
des Naturalismus auf, so daß sich deren Wiederholung hier erübrigt. Wir nannten
nur ältere Namen; denn viele Heutige sanken so tief, daß man sich bezwingen
muß, sie überhaupt zu nennen, so zum Beispiel, um uns nur deutlich zu machen,
Jean-Paul Sartre.
Der Naturalismus und Realismus in allen Formen beruht, wie gezeigt, auf
Mangel an Eingebungstiefe. Warum aber tritt er gerade in verschiedenen Zeiten
der Geschichte beherrschend auf? Das kann nicht nur auf dem Zufalle beruhen,
daß einige Zeiten einen besonderen Reichtum an Begabungen, andere eine
besondere Armut an solchen haben. Es beruht vielmehr wesentlich mit darauf,
daß unmetaphysische und unreligiöse Zeiten in ihrem Lebensgefühle geschwächt