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ü b e r t r i e b e n e A u s g e f e i l t h e i t der Formen entsteht,
daher die Eingebung mehr verdeckt als dargestellt wird.
Aber auch ohne Überladenheit kann das Formenwesen alles be-
herrschen; dann entsteht der l e e r e F o r m a l i s m u s . Dann
herrscht die Gestalt oder Form als solche vor, während von Ein-
gebung und innerer Empfindung wenig zu merken ist.
In beiden Fällen ist das Kunstwerk durch K ä l t e bezeichnet.
Daß überbildetes Gestaltentum und Formalismus überhaupt als
Fehlformen des Schönen auftreten können, das heißt, daß die über-
bildeten oder leeren Gestalten (Formen), die doch der Eingebung
nachgeordnet sind, überhaupt in den Fall kommen, wettmachen zu
sollen, was die Eingebung infolge ihrer Schwäche vermissen läßt;
das hat seinen Grund darin, daß die verschiedenen Gestaltungs-
arten wie Wortrhythmus, Zeitmaße überhaupt, Sinnlichkeit der
Töne, Harmonien und Farben, ferner die Sinnlichkeit der Werk-
stoffe und überhaupt alles, was die Gestaltung auf den Naturebenen
ausmacht, daß d i e s e s a l l e s a u c h f ü r s i c h s e l b s t
e i n e n v e r h ä l t n i s m ä ß i g e n E i g e n w e r t , e i n E i g e n -
l e b e n h a t . Aber die Gestaltung auf den naturhaften Ebenen
kann dennoch nicht den Tiefengehalt der Eingebung ersetzen. Ohne
den Grund der Eingebung, deren Gehalt sie widerspiegeln sollen,
sind diese Werte leer; sie bleiben dann im Sinnlichen stecken, sie
gehen vom Schönen ins Angenehme über.
Als Beispiel für leeren Formalismus wäre an den schon in frühe-
rem Zusammenhange genannten Dichter P l a t e n zu erinnern
(von der Nennung neuerer sehen wir ab); als Beispiel für die Über-
ladenheit verweisen wir auf den unechten, sogenannten „altdeut-
schen Stil“ der Hausgeräte, wie er nach dem Biedermeier gegen
Ende des neunzehnten Jahrhunderts herrschte und auch in der Bau-
kunst (neben der Eklektik geschichtlicher Stile) seine Entsprechung
fand.
Das B a r o c k dagegen, welches äußerlich genommen überladen scheinen
könnte, gründet seinen Gestaltenreichtum grundsätzlich auf starke innere Be-
wegtheit, also nicht auf Eingebungsschwäche. Allerdings kommt dabei der Eigen-
wert der Naturebenen der Gestaltung leicht in eine Überbetonung, welche z. B.
bei der Gotik ausgeschlossen ist.
Der Überbildung der Gestaltung kann ebensogut K a r g h e i t entsprechen,
da die Schwäche der Eingebung beides zur Folge hat.