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7. Geringer Allgemeinwert. Das Sonderlinghafte

Eine andere Folge nicht in die Tiefe dringender Eingebung,

welche überdies durch fehlerhafte Auffassung und unrichtige Ein-

gliederung getrübt wird, ist, daß das Allgemeingültige des Gegen-

standes des Kunstwerkes nicht genügend erfaßt und gewahrt wird.

Es zeigte sich früher, wie nur die Eingebung jene Polarität, jene

Zweiseitigkeit in sich schließe, welche im Einzelnen die Gattung

und in der Gattung das unwiederholbare Einzelne z u g l e i c h

enthält. Ist aber der Grund der Eingebung nicht festgelegt, dann

bleibt die Kunst allzusehr am Einzelnen, ja am Sonderlinghaften

hängen. Dieses aber geht nicht alle an, kann die Teilnahme aller

nicht gewinnen.

Am Sonderbaren und Sonderlinghaften geht die echte Schönheit

zugrunde.

Die Beispiele, die hier anzuführen wären, weisen hauptsächlich

auf das Naturalistische und Oberflächenhafte, das wir oben behan-

delten, zurück. Denn dieses bleibt am Äußerlichen hängen, verfällt

daher ungewollt dem Einzelnen. Wen fesseln heute noch die Nähe-

rinnen Liebermanns, wen die Frauenbewegerinnen Ibsens? Ja sogar

die ausgefallenen Zweifelsfragen der Dramen des hochbegabten

Hebbel (z. B. „Herodes und Mariamne“, „Gyges und sein Ring“)

teilen dieses Schicksal. Noch vieles dergleichen ließe sich anführen.

Wir begnügen uns, noch an das Epigramm Schillers zu erinnern:

Aus dem Leben heraus sind der Wege zwei dir geöffnet;

Zum Ideale führt einer, der andre zum Tod.

Dieses „Ideal“ wird in der Kunst nur durch die echte Eingebung

ans Licht gebracht. Wie nur die idealisierende Kraft das tätige

Leben heben und adeln kann, so auch das Schöne und die Kunst.

Ohne das Allgemeine, das Ideal, bleibt das tätige Leben am Ein-

zelnen hängen und wird schal; ohne das Allgemeine verliert das

Schöne seinen Boden und kann keine Anteilnahme erwecken.

So straft sich die naturalistische wie jede eingebungsschwache

Kunst mit Untergang. Die kleinen Künstler der Vergangenheit,

welche Eingebung vorspiegelten, aber nicht hatten, mußten not-

wendig im Strome der Zeit versinken.