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Beschaffenheiten die Eingebung nur unebenbildlich ausdrücken; des-

gleichen für die Künste des Tanzes, Schauspiels, Dirigierens und die

anderen ausführenden Künste.

Als Beispiel diene vor allem die Kunst des deutschen M i t t e l -

a l t e r s u n d d e r V o r r e n a i s s a n c e . Hier spürt man über-

all die Größe der Eingebung, zugleich aber auch das Unzulängliche

der Gestaltung, welches uns als etwas K r a u s e s u n d U n b e -

h o l f e n e s entgegentritt (mit Ausnahme der Baukunst); wo-

gegen wir in der altgriechischen Kunst jeder Art und in der Renais-

sance das Angemessene, der Eingebung stets Ebenbildliche der Form

bewundern. Es ist wichtig, sich in diesem Zusammenhange die

Sonderstellung der griechischen Kunst und ihrer Erbin, der römi-

schen und Renaissancekunst klar zu machen. Denn sowohl die alt-

chinesische, altindische, wie auch die ägyptische, islamische Kunst,

ferner die Kunst aller Naturvölker — sie alle erreichen jene For-

menklarheit und Formenvollkommenheit nicht, welche wir in der

griechischen Kunst, sobald sie sich nur vom ägyptischen Einflusse

befreite, jahrhundertelang beobachten und noch unter römischer

Abhängigkeit bewähren sehen. Was ein Homer, Phidias, Polyklet,

Myron, was die griechischen Dramatiker und alle ihre anderen

Künstler an Vollkommenheit der Gestaltung leisteten, hat in der

gesamten Weltgeschichte der Kunst nicht seinesgleichen.

Zum G e s t a l t l i c h - H ä ß l i c h e n kommt es aber durch

bloße Unbeholfenheit noch nicht. Dazu ist auch eine unzulängliche

oder gar finstere Eingebung nötig. Die abschreckendsten Beispiele

dafür liefert die Neuzeit in allen Künsten seit etwa fünfzig bis

achtzig Jahren!

Das Ungestaltete und Formal-Häßliche läßt sich als S t ö r u n g

d e r ä u ß e r e n M a ß v e r h ä l t n i s s e bestimmen. In der

Dichtung kann durch falsche Zeitmaße und falsche Stoffverteilung

das Ebenmaß (die Symmetrie) der Aufwände gestört werden; in der

Musik können ebenfalls die Zeitmaße, Melodien, Harmonien falsche

Verhältnisse zeigen. Ohnehin liegt dies am Tage in den bildenden

Künsten, wo die mengenhaften Verhältnisse der räumlichen Gliede-

rung sich in ihrer grundlegenden Wichtigkeit dem Blicke sofort auf-

drängen. Daneben kommen allerdings hier für die Gestaltung noch

die Gegenseitigkeiten („Komplementaritäten“) der Farbenverhält-

nisse sowie der sinnlichen Beschaffenheiten der Werkstoffe in Frage.