586
[494/495]
F . R e c h t u n d M a c h t .
D i e E i n h e i t d e s W a h r e n u n d G u t e n
D a s grundsätzliche Verhältnis von Recht und Macht ist bereits
durch die Klärung der Begriffe „Satzung“ und „Gewalt“ sowie des
Begriffs der Herrschaft klargestellt
1
.
Das Wesen von Gewalt, Herrschaft, Macht sahen wir nicht in
p s y c h o l o g i s c h e r
u n d
m e c h a n i s c h e r Zwangsan-
wendung, die ja von i n n e r e r G ü l t i g k e i t u n a b -
h ä n g i g w ä r e , sondern in der geistigen, der inneren Gültigkeit,
dessen, was herrscht.
Die Schwierigkeit dieses Standpunktes liegt nun darin, daß eine
bloß theoretische Gültigkeit des Rechten und Guten dann wertlos
ist, wenn sie niemand anerkennt, wenn das Gültige nicht wirklich
zu werden vermag. Daher das Schlagwort „Zum Recht gehört
Macht“ oder „Das Recht muß im W i l l e n der Beteiligten ver-
ankert sein“. Beide Schlagworte sind abzuweisen. Das erstere denkt
die Macht als bloße mechanische Stärke, die grundsätzlich neutral
ist und zum Guten wie zum Bösen gleich sehr zwingen kann. Das
letztere ruht auf demselben Gedanken, sieht im „Willen“ der
Rechtsbürger die Machtform und führt diesen Willen zu dem in-
dividualistischen Unbegriff der Volkssouveränität hinaus.
Der reine Machtbegriff ist machiavellistisch; der Begriff des Wil-
lens und schließlich des Volkswillens, als der letzten Rechtsmacht, ist
naturrechtlich-demokratisch.
/
In beiden Fällen wird Macht dem Recht gegenübergestellt (auch
die Volkssouveränität kann grundsätzlich unrecht, machiavellistisch
handeln) — als zwei wesensverschiedene, je nach Zufall feindliche
Dinge.
Um in dieser Frage recht zu sehen, muß man wissen, daß das
Gültige überhaupt — sei es das logisch Gültige, sittlich und rechtlich
Gültige, künstlerisch Gültige, metaphysisch Gültige — nicht in der
Luft hängt, sondern vielmehr das Entscheidende für sich hat: daß es
dem Wesen der Sache entspricht, daß es dem L e b e n s e r f o r -
d e r n i s d e r A u s g l i e d e r u n g entspricht, daher stets und
notwendig w e s e n h a f t G ü l t i g e s ist.
1
Vgl. oben S. 2 89 ff.