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uns sehen, w e i l d a b u c h s t ä b l i c h m i t g a n z a n d e r e n
A u g e n i n d i e W e l t d e s H a n d e l n s g e s c h a u t
w i r d.“
1
Gottl hat also das Problem der Konstruktion der Objektivations-
systeme, wenn er es auch nur sozusagen nebenher behandelt hat,
doch in einer prinzipiell bestimmten Weise bearbeitet. — Es ist
ersichtlich, daß er für diese Konstruktion nicht schlechthin die kau-
sale Beschaffenheit des Materials, sondern den G e s i c h t s -
p u n k t , d a s Z i e l der Erkenntnis geltend macht. Er erklärt da-
her nur insofern eine Aussonderung von „Gebieten“ für möglich,
sofern es verschiedene E r k e n n t n i s z i e l e oder -Arten sind,
welche die Beschaffenheiten der Phänomene dem Erkennen aufdrän-
gen
2
. Demgemäß stehen Objektivationssysteme a p r i o r i s c h e n
Inhaltes — wie „Kunst“, „Moral“ usw. — dem „Alltag“ prinzipiell
gegenüber. Hiermit hat Gottl den Fehler, dem wir bisher überall
begegnet sind, vermieden, Objektivationssysteme, die ihrer inneren
Struktur (und somit auch ihrer Erkenntnis-Bedürftigkeit) nach
gänzlich verschieden sind, nebeneinanderzustellen, und sie prinzi-
piell gleicher sozialwissenschaftlicher Betrachtung zugänglich zu er-
klären. (Wenn er auch in der Ablehnung des Materialen zu weit
gegangen zu sein scheint.) Dies gelang dadurch, daß der Be-
g r i f f d e s O b j e k t i v a t i o n s s y s t e m s r e i n a u f d e n
G e s i c h t s p u n k t d e r E r k e n n t n i s b a s i e r t w u r d e ,
so daß aus dem „Gebiet“ sozusagen eine Erkenntnis-Art und -Reihe
wird.
Diese Auffassung, die völlig unanfechtbar erscheint, liegt ganz
auf der Linie, welche unsere bisherige Kritik eingeschlagen hat und
die spätere prinzipielle Untersuchung einschlagen wird.
An diesem Punkte wird abermals ersichtlich, in welchem Sinne
unser ganzes Problem diesseits einer letzten erkenntnistheoretischen
Selbstbesinnung liegt, und in welchem Sinne es dennoch als selb-
ständiges in k r i t i s c h e r Weise möglich ist. Nach Gottl ver-
1
Friedrich von Gottl-Ottlilienfeld: Die Herrschaft des Wortes, a. a. O., S. 166
(im Original nicht gesperrt); vgl. auch S. 138.
2
Dies gemäß einer bestimmten Abhängigkeit des Erkennens von der Eigen-
art des Gegenstandes. Vgl. Friedrich von Gottl-Ottlilienfeld: Die Herrschaft des
Wortes, a. a. O., und seinen Artikel: Der Stoff der Sozialwissenschaft, in: Archiv
für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd 24, Tübingen 1907.