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dingen daher ein System von Abhängigkeiten der einen von den
andern (z. B. Arm und Reich, Hoch und Niedrig, Herr und Diener
usw.).
In diesem Phänomen liegt „die Brücke zwischen dem bloßen
Güterleben und dem Leben der Persönlichkeit“
1
. Die Gesetze des
Güterlebens erscheinen als „bedingend für die Ordnung der freien
Persönlichkeiten, der Organismus der Güterbewegung wird zur
O r d n u n g d e r m e n s c h l i c h e n G e m e i n s c h a f t “
2
. So
entsteht also das Phänomen der G e s e l l s c h a f t , welche sich als
S y s t e m d e r A b h ä n g i g k e i t s v e r h ä l t n i s s e d e r I n -
d i v i d u e n voneinander darstellt
3
und damit zugleich als Ge-
meinschafts-O r d n u n g etwas ist, das der Forderung des Staates
selbständig gegenübersteht. „Die Gemeinschaft der Menschen, die in
der Persönlichkeit des Staats die organische Einheit ihres W i l -
l e n s findet, hat in jener Ordnung [nämlich in der Gesellschaft]
eine ebenso feste ... Einheit ihres L e b e n s ; und diese organische
Einheit des Lebens, durch die Verteilung der Güter bedingt, durch
den Organismus der Arbeit geregelt, durch das System der Bedürf-
nisse in Bewegung gesetzt und durch die Familie und ihr Recht an
bestimmte Geschlechter dauernd gebunden, ist die m e n s c h -
l i c h e G e m e i n s c h a f t.“
4
Durch sie wird die in der Güter-
welt zunächst gegebene Besonderung der Persönlichkeit wieder auf-
gehoben, „indem die verschiedenen Bestrebungen der einzelnen
durch ihre eigene Natur untereinander verbunden werden und
durch diese Verbindung sich gegenseitig mit ihrer Eigentümlichkeit
erfüllen“
5
.
1
Lorenz von Stein: Der Begriff der Gesellschaft, a. a. O., S. XXI.
2
Lorenz von Stein: Der Begriff der Gesellschaft, a. a. O., S. XXII.
3
Zur Erläuterung noch folgende Definitionen Steins: „Jene Ordnung der
menschlichen Gemeinschaft ist daher, indem sie auf der Güterbewegung beruht,
die O r d n u n g d e r A b h ä n g i g k e i t der einen von den andern...“ (a. a. O.,
S. XXII). „In der Gesellschaft ist es ... das V e r h ä l t n i s d e s E i n z e l n e n
z u m a n d e r e n E i n z e l n e n , das die Grundlage bildet.“ (a. a. O., S. XXXIX).
Gesellschaft ist „die äußere Ordnung des geistigen Lebens in der menschlichen
Gemeinschaft", sie ist die „durch die beständig wirkende Einheit der geistigen
und materiellen Ordnung erzeugte Ordnung der Gemeinschaft...“ (Lorenz von
Stein: System der Staatswissenschaften, Bd 2: Die Gesellschaftslehre, Stuttgart
1856, S. 35 bzw. 205; vgl. ferner S. 2 ff., besonders S. 5.)
4
Lorenz von Stein: Der Begriff der Gesellschaft, a. a. O., S. XXVIII.
5
Lorenz von Stein: System der Staatswissenschaften, Bd 2: Die Gesellschafts-
lehre, Stuttgart 1856, S. 5.