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Staat, Weltteil, tatsächlich bestehenden gesellschaftlichen Gestaltun-
gen.“
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Einen tieferen literargeschichtlichen Einblick in die Materie ge-
währt auch H e i n r i c h v o n T r e i t s c h k e s Schrift: „Die
Gesellschaftswissenschaft, Ein kritischer Versuch“ (Leipzig 1859).
Treitschke versucht hier eine eingehende Widerlegung der Lehre
Mohls, deren wesentlichster Inhalt, gleichzeitig zur weiteren Dar-
stellung der Doktrin Mohls, noch kurz mitgeteilt sei. Er ist folgen-
der: Die Betrachtung der Gemeinde, als eines notwendig integrie-
renden Bestandteils des Staates, gehört in die Staatswissenschaft,
nicht (wie Mohl fordert) in die Gesellschaftslehre; die Betrachtung
der sozialen Erscheinungen, die mit dem Zusammenleben verschie-
dener Stämme und Rassen in einem Lande gegeben sind, gehört
entweder in die Ethnologie (etc.) oder in die Staatswissenschaft,
nämlich soweit das Zusammenleben der Stämme in ihren Macht-
Verhältnissen in Frage kommt; desgleichen die Betrachtung der
Stände
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. Ähnlich steht Treitschke gegenüber den von Mohl gleich-
falls für die Gesellschaftslehre in Anspruch genommenen „Genossen-
schaften, welche aus dem Besitz höherer Bildung entstehen“, den
„Gestaltungen, welche aus den Verhältnissen zur Arbeit und zum
Besitz hervorgehen“, den „religiösen Genossenschaften“ und end-
lich den „freien Genossenschaften“. — Treitschke fragt sodann:
„Was ist diesen gesellschaftlichen Kreisen gemeinsam?“ und erklärt,
daß die Antwort Mohls: ein gemeinsames I n t e r e s s e , das je-
desmal gleichartige Zustände hervorrufe, unbefriedigend sei, denn
es liege jeder Gruppe ein a n d e r e s Interesse zugrunde. So rich-
tig dieses Argument für sich genommen ist, so wenig kann man an-
erkennen, daß hiermit Treitschke gegen die „Gesellschaftslehre“
irgend etwas ausrichten könne. Im Gegenteil, gerade die Tatsache,
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Robert von Mohl: Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften,
Bd 1, Erlangen 1855, S. 101.
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„Die geistige Atmosphäre, worin sich jeder dieser Stände bewegt, hat für
die Staatswissenschaft zunächst nur den Wert einer Tatsache, welche sie voraus-
setzen und kennen muß, weil sich die politische Wirksamkeit der Stände wesent-
lich an ihr Kulturleben anknüpft, wie sich aber die Elemente politischer Macht
— Reichtum, Bildung und Teilnahme am Staatsleben — unter die Stände ver-
teilen, dies ist für die Staatswissenschaft von höchster Wichtigkeit.“ (Heinrich
von Treitschke: Die Gesellschaftswissenschaft, Ein kritischer Versuch, Leipzig
1859, S. 15.)