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wicklung des Volksgeistes erklärt werde“

1

. Diese Disziplin ist also allgemein

theoretischen Charakters; sie nimmt keine Rücksicht auf die einzelnen Völker

und ihre Geschichte, indem sie nur das Allgemeine heraushebt. Die zweite Dis-

ziplin könnte man p s y c h i s c h e E t h n o l o g i e nennen. Diese ist ganz

konkret, historisch; sie behandelt „die wirklich existierenden Volksgeister und

ihre besonderen Entwicklungsformen. Jene (die politische Psychologie) stellt

Gesetze auf, die für alle Völker gelten; diese beschreibt, charakterisiert die

einzelnen Völker als die besonderen zur Wirklichkeit gelangten Formen jener

Gesetze“

2

.

Der Hauptbegriff der Völkerpsychologie, der des V o l k s g e i s t e s , wird

folgendermaßen näher bestimmt: „Da der Volksgeist doch nur in den Einzelnen

lebt und kein vom Einzel-Geiste abgesondertes Dasein hat, so kommen auch in

ihm natürlich nur diejenigen Prozesse vor, wie in diesem, welche die indivi-

duelle Psychologie näher erörtert. Es handelt sich auch in der Völkerpsychologie

um Hemmungen und Verschmelzungen, Apperzeptionen und Verdichtungen

.“

3

Alle diese Prozesse finden sich im Volksgeiste, nur komplizierter und ausgedehn-

ter, wieder. Daher ist die individuelle Psychologie zugleich die Grundlage der

Völkerpsychologie. So finden wir innerhalb der Erscheinungen des Volksgeistes

beispielsweise eine der Enge des Bewußtseins analoge Erscheinung des Z e i t -

b e w u ß t s e i n s oder Z e i t g e i s t e s , welche eben nur durch diese Analogie

begriffen werden kann

4

. Der Volksgeist ist mehr als die bloße Summe aller

individuellen Geister in einem Volke: er besteht zwar nur „in den einzelnen

Geistern, welche zum Volke gehören. Gerade unter diesem Gesichtspunkte aber,

daß der Volksgeist seine Subsistenz in den einzelnen Geistern hat, ist eine wis-

senschaftliche Untersuchung über seine Wirksamkeit einerseits allein möglich,

andererseits aber auch als eine besondere, von der Erforschung des individuel-

len Seelenlebens noch verschiedene Aufgabe notwendig". Allein möglich, denn

„von einer Volksseele nach der Analogie des Gedankens einer Weltseele haben

wir keine irgendwie in der Erfahrung gegebene Erkenntnis ... Durch die Be-

obachtung der Einzelnen also muß untersucht werden, was es heißt, daß neue

Prinzipien entstehen. Dann wird es auch weiter notwendig, über den Einzelnen

hinauszugehen. Denn wenn die reelle Wirksamkeit in demselben vor sich geht,

wie und wodurch ist die Wirkung im allgemeinen, in der Gesamtheit? — Hier

muß man die Zirkulation der Ideen, die chemische Umwandlung derselben beim

Laufe durch den psychischen Organismus des Volkes begreifen; die Umwand-

lung, welche dieser selbst erfährt, die Endosmose der Ideen, muß erkannt wer-

den

.“

5

Der Gesamt-Geist ist eine h ö h e r e E i n h e i t . „Im Gesamtgeiste . . .

verhalten sich die Einzel-Geister ... so, wie sich im Individuum die einzelnen

1

Moritz Lazarus und Heymann Steinthal: Einleitende Gedanken über Völ-

kerpsychologie, in: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft,

Bd 1, Berlin 1860, S. 26.

2

Moritz Lazarus und Heymann Steinthal: Einleitende Gedanken über Völ-

kerpsychologie, a. a. O., S. 26.

3

Moritz Lazarus und Heymann Steinthal: Einleitende Gedanken über Völ-

kerpsychologie, a. a. O., S. 10 f.

4

Moritz Lazarus und Heymann Steinthal: Einleitende Gedanken über Völ-

kerpsychologie, a. a. O., S. 61.

5

Moritz Lazarus: Einige synthetische Gedanken zur Völkerpsychologie, in:

Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, Bd 3, Berlin 1862,

S. 7 f.