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Diese Modifikation des Forschungs g e b i e t e s der Völker-

psychologie geht natürlich Hand in Hand mit einer Umbildung

ihres Hauptbegriffes, des Begriffes des Volksgeistes. An dem Begriffe

des Volksgeistes der alten Völkerpsychologie tadelt es Wundt vor

allem, daß derselbe im Sinne der Vorstellungsmechanik Herbarts

vollständig zum Ebenbilde des Einzelgeistes wurde, mit dem einzi-

gen Unterschiede, daß die Einheiten, aus deren Verbindungen er

sich zusammensetzte, von komplexerer Beschaffenheit waren. „Auf

diese Weise müßte aber gerade der eigenartige Charakter der Er-

scheinungen des gemeinsamen Lebens, der aus einer bloßen Analogie

mit dem individuellen Seelenleben niemals begriffen werden kann,

völlig verschwinden.“

1

Dadurch ferner, daß man nicht zur Ausschei-

dung von Sondergebieten gelangte, sondern den geschichtlichen

Wandel des Volksgeistes schlechtweg begreifen wollte, drängte man

auf die Bahnen der G e s c h i c h t s p h i l o s o p h i e . „Nur daß

die Spekulationen dieser nun in das Gewand psychologischer Hypo-

thesen gekleidet waren.“

2

Dadurch aber, daß sich andererseits doch

auch das Bedürfnis nach dem psychologischen Verständnisse des

Details geltend machte, zerfiel das Gebiet in zwei Teile: „in eine An-

wendung individualpsychologischer Gesetze auf die Erzeugnisse des

gesellschaftlichen Lebens und in eine geschichtsphilosophische Be-

leuchtung der verschiedenen Volksgeister und ihrer Betätigungen

in der Geschichte. Nach beiden Richtungen blieb jedoch die Völker-

psychologie eine fragwürdige. War es dort zweifelhaft, ob die An-

wendung der Psychologie auf bestimmte Probleme der geschicht-

lichen Entwicklung nicht den historischen Einzelwissenschaften selbst

zuzuweisen sei, so war hier die Geltendmachung des psychologischen

Gesichtspunktes zwar berechtigt, aber man hielt dabei gleichwohl an

der nämlichen allgemeinen Aufgabe fest, die sich auch hier die Ge-

schichtsphilosophie gestellt hatte.“

3

Die Begriffe von Volksgeist und Volksseele bestimmt Wundt

selbst dann in folgender Weise. Zwischen Seele und Geist unterschei-

det er dahin, daß Seele das Psychische bedeutet, sofern es an dem

Organismus als erfahrbar gesetzt wird, während Geist dieses als

1

Wilhelm Wundt: Völkerpsychologie, Eine Untersuchung der Entwicklungs-

gesetze von Sprache, Mythos und Sitte, Bd I/1, Leipzig 1900, S. 19.

2

Wilhelm Wundt: Völkerpsychologie, a. a. O., S. 20.

3

Wilhelm Wundt: Völkerpsychologie, a. a. O., S. 20.