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Grund dafür ist der, daß Wundt, statt von den Gesichtspunkten

eines originären, neuartigen Phänomens — das er doch selbst im

Völkerpsychologischen gegeben sieht — auszugehen, von i n d i -

v i d u a l p s y c h o l o g i s c h e n Gesichtspunkten sich leiten ließ.

Hier liegt auch die tiefere Ursache für die Sonderstellung von

Sprache, Mythus und Sitte von den übrigen sozialen Erscheinungen;

es ist eine bloße A n a l o g i e z u m i n d i v i d u e l l e n B e -

w u ß t s e i n , die Wundt hier durchführt: die Sprache entspricht

der Grundfunktion des Vorstellens, Mythus und Religion der Phan-

tasie (Gefühl), die Sitte dem Willensphänomen. Dagegen muß be-

tont werden, daß jede innere Verbindung mit der Psychologie un-

m ö g l i c h wird, wenn das Völkerpsychologische wirklich als ein

originäres Phänomen (gegenüber den individual-psychologischen

Phänomenen) festgehalten wird. Denn als solches ist es ein soziales

Phänomen und folgerichtig auch nur s o z i a l w i s s e n s c h a f t -

l i c h betrachtbar. Dies bedeutet aber, daß es nur betrachtbar ist,

sofern es im System sozialer Handlungen erscheint, das heißt als

Objektivationssystem, als das es eine spezifische Struktur und Funk-

tion in der Wechselbeziehung der Individuen hat. Hiermit verliert

die Betrachtung notwendig allen spezifisch psychologischen Charakt-

ter, wie denn auch jede wirklich sozialpsychologische Untersuchung

zeigt. Zum Beispiel ist eine Einsicht von der Art: das geistige Niveau

einer Masse habe die Tendenz, sich der geringsten Intelligenz ihrer

und glänzend aber diese Untersuchungen auch sein mögen, sie tragen durchaus

den Charakter s p r a c h w i s s e n s c h a f t l i c h e r , das heißt sprachpsycho-

logischer und sprachgeschichtlicher Forschung. Besonders deutlich wird der

n i c h t spezifisch völker-(s o z i a l -)psychologische Charakter der Wundtschen

Untersuchungen, wenn wir von jenen Problemen, bei welchen das philologische

Detail ganz oder teilweise in den Hintergrund tritt (wie Ursprung der Sprache),

absehen. Wir können nur finden, daß in denselben Begriffe der Individualpsycho-

logie sehr reichlich und in sehr geistreicher Weise zur Bearbeitung sprachwissen-

schaftlicher Probleme herangezogen werden (ebenso wie umgekehrt), aber nicht,

daß eine selbständige, eigenartige v ö l k e r p s y c h o l o g i s c h e B e g r i f f s -

b i l d u n g stattgefunden hätte. — Wundt hat in einer Entgegnung selbst er-

klärt, daß es sich für ihn um eine Gewinnung einer Psychologie aus der Sprache

handle. Vgl. Wilhelm Wundt: Sprachgeschichte und Sprachpsychologie mit Rück-

sicht auf B. Delbrücks „Grundfragen der Sprachforschung“, Leipzig 1901, S. 21,

vgl. auch S. 24, 110 und öfter. — Analoges gilt von dem neuesten Werk über

den Mythus.