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136

U n r e f l e k t i e r t e

E r z e u g n i s s e

d e s

G e m e i n -

s c h a f t s l e b e n s :

Sprache, Mythus und Sitte.

B e w u ß t e W e i t e r b i l d u n g u n d d i f f e r e n z i e r e n d e

F o r t e n t w i c k l u n g d i e s e r E r z e u g n i s s e (wesentlich

durch schöpferisches Eingreifen Einzelner):

Sprache: Literatur.

Mythus: Religion, Wissenschaft, Kunst.

Sitte: Sittlichkeit, Recht.

Was auf diese Tafel der gesellschaftlichen Inhalte und die darin

vorhandene Sonderstellung von Sprache, Mythus und Sitte ein be-

sonderes Licht zu werfen geeignet ist, ist die Abgrenzung der völ-

kerpsychologischen Behandlung dieser Gebilde gegenüber ihrer ge-

schichtlichen und theoretisch-sozialwissenschaftlichen Behandlung

und die Vergleichung derselben mit der Wirklichkeit der gesell-

schaftlichen Erscheinungen.

Die Abgrenzung der völkerpsychologischen Forschung gegenüber

der geschichtlichen, welche sich ja als nächste Folge seiner Einschrän-

kung des völkerpsychologischen Forschungsgebietes darstellt, ist

nicht nur, wie bereits betont, eine wenig scharfe, sondern sie ist auch

erkenntnistheoretisch betrachtet unhaltbar. M ü n s t e r b e r g

1

hat mit Recht eingewendet, daß sich Geschichte und Sozialpsycho-

logie keineswegs den Stoff zu teilen haben, sondern daß beide den-

selben Stoff von verschiedenen Gesichtspunkten aus bearbeiten.

Darum kann es auch zwischen beiden niemals Grenzstreitigkeiten

geben. Historische und theoretische Forschung lassen sich grundsätz-

lich nicht vermengen (wenn auch faktisch keine der anderen ent-

behren kann).

Wundt hat nun allerdings behauptet, in dem Merkmale des un-

reflektierten Gewordenseins, des Mangels an schöpferischem Ein-

greifen Einzelner, eine allgemeine und zureichende Rechtfertigung

.

1

Hugo Münsterberg: Grundzüge der Psychologie, Bd 1, Leipzig 1900,

S. 133 f. — Gegen Wundts Abgrenzung der Völkerpsychologie überhaupt vgl.

auch E r n s t B e r n h e i m : Lehrbuch der historischen Methode, 4. Aufl., Leip-

zig 1903, S. 607 f. und F r a n z E u l e n b u r g : Über die Möglichkeit und die

Aufgaben einer Sozialpsychologie, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung,

Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, Jg 24, Leipzig 1900,

S. 203 und 218.