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l o g i e , d a r . Man könnte demnach die Soziologie als a l l g e -
m e i n e T h e o r i e d e s S o z i a l e n bezeichnen oder als die
Wissenschaft, welche n a c h d e m W e s e n u n d d e r E i g e n -
a r t d e s g e s e l l s c h a f t l i c h e n G a n z e n a l s s o l c h e m
f r a g t , und es in seinen allgemeinen Zügen darstellt.
Die Anerkennung jener Tatbestände in den sozialwissenschaft-
lichen Disziplinen einerseits und dieser erkenntnistheoretischen
Notwendigkeit andererseits als p r o b l e m - s e t z e n d erscheint
nach dem Bisherigen u n v e r m e i d l i c h . Denn sie in dieser
Eigenschaft leugnen, hieße, die vollkommene grundsätzliche Un-
abhängigkeit und Selbständigkeit aller sozialwissenschaftlichen
Disziplinen voneinander behaupten; hieße, die Eigenschaft ihrer
Objekte, Teilinhalte eines größeren Ganzen zu sein, verneinen; den
Gegensatz unserer einheitlichen sozialen Erfahrung zur abstrakten
Natur der sozialwissenschaftlichen Einzelobjekte leugnen und damit
überhaupt die erkenntnistheoretische Beziehung von Teil und Gan-
zen zurückweisen. Alles dieses könnte unmöglich behauptet werden.
Muß man somit wenigstens das P r o b l e m grundsätzlich an-
erkennen, so kann es dann aber auch keinen S k e p t i z i s m u s
mehr in Hinsicht auf die Bearbeitung und Lösung geben! Eine
a n d e r e Erfassung des problematisierten Tatbestandes als die
prinzipiell geforderte (nämlich selbständige Erkenntnis des Ganzen
als solchen) ist u n m ö g l i c h
1
. Denn wer den problematisierten
Tatbestand nur überhaupt anerkennt, muß schon die Problemati-
sation selbst grundsätzlich als einen V e r s u c h z u r Z u s a m -
m e n f a s s u n g z u i n n e r e r E i n h e i t auffassen. So ergibt
sich hier abermals die obige Einsicht: daß die Hypothese, welche
in der Frage nach dem Gesellschaftsganzen steckt, in der An-
n a h m e s e l b s t ä n d i g e r B e s c h r e i b b a r k e i t d e s G e -
s e l l s c h a f t l i c h e n a l s s o l c h e n besteht und somit mit
der Anerkennung des Problems auch seine prinzipielle Lösbarkeit
bejaht ist.
Haben wir mit dem Vorstehenden dargetan, wie das Problem der
Konstruktion und Verhältnisbestimmung der Objektivationssysteme
1
Zur näheren Begründung vergleiche den ersten Artikel meiner Abhand-
lung: Untersuchungen über den Gesellschaftsbegriff, in: Zeitschrift für die ge-
samte Staatswissenschaft, Bd 59, Tübingen 1903, S. 575, 580 und 590.