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k a u s a l e Auffassung dar, in der der Zweck als causa finalis w i r k t (im Gegen-

satz zur eigentlichen Kausalerklärung, der gemäß ein Effekt als durch eine zeitlich

f r ü h e r e Ursache hervorgebracht gedacht wird). Ebenso in Wahrheit kausal

ist jener andere Fall von „Teleologie“, wo zwar nicht ein noch unverwirklichtes

Ziel, aber ein Gedanke an das Ziel, eine Zweck vo r s t e l l u n g als die Ursache

der eigenen Verwirklichung und der dazwischen liegenden Vorgänge gedacht

wird. Mit all dieser k a u s a l e n Teleologie hat Stammler nichts zu tun. Der

Wille (oder die Zweckvorstellung) ist bei Stammler nicht als w i r k e n d e

K r a f t zu denken, dessen „Wirksamkeit“ dann nach kausaler Art zu betrach-

ten wäre. Ebenso wenig endlich fällt Stammlers Methode zusammen mit der so-

genannten Kantschen „Analogie als ob“ (nämlich die Unterstellung, als ob

irgend ein Zweck bestimmte kausale Vorgänge begreiflich machen würde, z. B.

als ob der Frosch deshalb grün wäre, um Nachstellungen zu entgehen). In dieser

„Analogie als ob“ wird nach dem Sinn und Zweck irgend eines Gegenstandes nur

gefragt, um g e m ä ß der Einsicht in diesen Zweck erst die Kausalerklärung auf-

zusuchen. Das Fragen nach dem Zwecke ist hier bloß ein Mittel zur Aufdeckung

von Kausalzusammenhängen, ein heuristisches Prinzip der Kausalforschung. Bei

Stammler hingegen wird die Einsicht in den Zweck um ihrer selbst willen gesucht.

Sie ist als selbständige Methode von ihm (und Natorp) gewissermaßen neu ent-

deckt. Sie betrachtet Willens - I n h a l t e in ihrer Richtung auf eine I d e e , ein

Ziel, das heißt sie besteht in der B e s c h r e i b u n g v o n W i l l e n s a k t e n

n a c h i h r e n q u a l i t a t i v e n V e r h ä l t n i s s e n a l s M i t t e l u n d

Z w e c k e . Sie ist nicht Beschreibung eines Seins, sondern eines Sollens, indem

die einzelnen Bestrebungen (als Mittel) an einen unbedingten höchsten Endzweck

gehalten und als b e r e c h t i g t oder u n b e r e c h t i g t bestimmt werden. Die

kausale Gesetzmäßigkeit geht auf die Regelmäßigkeit des Geschehens in Hinsicht

auf seine sukzedanen und simultanen Abhängigkeiten; die Gesetzmäßigkeit der

Zwecke ist gegeben mit der Möglichkeit, ein Mittel an einem Zwecke zu r i c h -

t e n , das heißt als berechtigtes oder unberechtigtes zu erkennen. In der kau-

salen Auffassung erscheint wahr und unwahr, in der teleologischen berechtigt

oder unberechtigt als gegensätzliche Charakteristik bestimmter Zusammenord-

nung unserer Bewußtseinsinhalte. „Vielleicht sagt jemand zu einem Schachspieler,

daß ein bestimmter Zug ihm nicht r i c h t i g [= unberechtigt] erscheine: Er

würde gewiß betroffen sein, die Replik zu vernehmen, daß das Vorsetzen der

fraglichen Figur kausal notwendig gewesen wäre, und w e i t e r s i c h d a r -

ü b e r n i c h t s s a g e n l i e ß e ! “

1

Es läßt sich nämlich noch neben der Be-

1

1

Rudolf Stammler: Die Lehre von dem richtigen Rechte, Berlin 1902, S. 184.

— Vgl. zur im engeren Sinne erkenntnistheoretischen Bedeutung dieser Auf-

fassung P a u l N a t o r p : Grundlinien einer Theorie der Willensbildung, in:

Archiv für systematische Philosophie, herausgegeben von Ludwig Stein, Berlin

1895, §§ 2 und 3, Berlin 1896, § 14 und öfter, sowie dessen Abhandlung (gegen

Franz Staudinger): Ist das Sittengesetz ein Naturgesetz, in: Archiv für systema-

tische Philosophie, Berlin 1896 (die betreffende Abhandlung Franz Staudingers ist:

Uber einige Grundfragen der Kantischen Philosophie, in: Archiv für systematische

Philosophie, Berlin 1896, S. 207 ff.) und andere Schriften der sogenannten „Mar-

burger Schule“. Vgl. F r i e d r i c h U e b e r w e g , M a x H e i n z e : Grundriß

der Geschichte der Philosophie, Bd 4, 9. Aufl., Berlin 1902. — Eine andere er-

kenntnistheoretische Wendung erhielt das Problem durch H u g o M ü n s t e r -

b e r g (Grundzüge der Psychologie, Bd 1, Leipzig 1900) und F r i e d r i c h v o n