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Bevor ich hierauf eingehe, möchte ich noch das Folgende mit
Nachdruck hervorheben. Es ist bei allen dogmenkritischen Erörte-
rungen dieses Buches mein Bestreben gewesen, die Kritik womöglich
ganz auf dem Boden der Theorie des Gegners selber zum Austrage
zu bringen, hingegen eine positive Ansicht nicht oder so wenig wie
möglich geltend zu machen. Dieses Verfahrens habe ich mich ganz
besonders auch bei der nachfolgenden Kritik Stammlers beflissen.
Diese soll den Nachweis führen, daß Stammlers Begriff der Gesell-
schaft und die daraus entspringende Methodologie in sich unmöglich
und widerspruchsvoll ist. Das Positive, das ich Stammler und an-
deren Autoren gegenüberzustellen habe, findet sich in den Schluß-
bemerkungen dieses Buches kurz angedeutet und in meiner Schrift
„Der logische Aufbau der Nationalökonomie und ihr Verhältnis zur
Psychologie und den Naturwissenschaften" (1907) zum Teil näher
dargelegt. Dort habe ich auch eine kurze logische Analyse der finalen
Begriffsbildung selber versucht, was an dieser Stelle, obzwar wün-
schenswert, doch nicht unumgänglich notwendig ist.
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. D e r e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h e G r u n d g e d a n k e
Unter Gesellschaft versteht Stammler das Zusammenleben von
Menschen in seiner Eigenschaft als G e o r d n e t e s , G e r e g e l -
t e s . Es ist das Moment der V e r b i n d u n g d e r M e n s c h e n
d u r c h
g e m e i n s a m e
Z w e c k e ,
d a s
i s t
d i e
ä u ß e r l i c h e
R e g e l u n g ihres Zusammenlebens, welches das spezifisch Soziale
bedeutet. Da nun die Ordnung oder Regelung des Zusammenlebens
nur ein Mittel im Dienste menschlicher Zwecksetzung ist, also ein
Mittel, durch das Ziele erreicht werden sollen, so ist darnach die Be-
trachtung der Tatsachen des menschlichen Zusammenlebens s o z i a l
insofern, als sie die Verhältnisse von Zwecksetzungen betrifft, das
heißt eine Betrachtung des Verhältnisses von Mittel und Zweck ist.
Die sozialwissenschaftliche Betrachtung ist grundsätzliche Ordnung
unseres Bewußtseinsinhaltes d u r c h E r w ä g u n g v o n M i t -
t e l u n d Z w e c k , eines Sollens, also eine teleologische, keine
kausale Erkenntnis.
Die teleologische Erkenntnis Stammlers ist nicht etwa als Zweckerklärung im
Sinne einfacher Umkehrung des Verhältnisses von Ursache und Wirkung zu ver-
stehen, wonach ein Zweck, noch ehe er verwirklicht ist, die Fähigkeit haben soll,
zu w i r k e n . Diese m e t a p h y s i s c h e Teleologie stellt in Wirklichkeit eine