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und die im engeren Sinne sachliche, inhaltliche Ausgestaltung und
Durchführung seiner Lehre. Sowohl Darstellung wie Beurteilung
kann daher das Hauptgewicht entweder auf die erkenntnistheore-
tische Grundlage oder auf die dogmatische, das heißt spezieller-sach-
liche Beschaffenheit der Ausführung der Doktrin legen. Eine gänz-
liche Trennung dieser beiden Seiten des Systems ist freilich unmög-
lich. Indessen möge in Nachfolgendem die erkenntnistheoretische vor
der spezieller-sachlichen Erörterung möglichst zurücktreten.
„nicht weil die kausale Betrachtungsweise an sich die vollkommenere wäre, son-
dern weil die Eigenart des modernen verkehrswirtschaftlich-kapitalistischen Wirt-
schaftssystems ... die einheitliche Anordnung der Einzelphänomene unter dem
Gesichtspunkte von Ursache und Wirkung als die zweckmäßigste Form der
Gruppierung erscheinen läßt“; hingegen wäre mit Bezug auf ein streng soziali-
stisches Gemeinwesen „eine auf dem kausalen Prinzip aufgebaute Nationalöko-
nomie schierer Unsinn“ (a. a. O., S. XVI).
G e g e n Stammler: G e o r g S i m m e l : Zur Methodik der Sozialwissen-
schaft, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirt-
schaft im Deutschen Reich, Jg 20, Leipzig 1896; F r a n z S t a u d i n g e r , in:
Kant-Studien, herausgegeben von Hans Vaihinger, Bd 2, Berlin 1897, S. 132 ff.;
P a u l B a r t h : Philosophie der Geschichte als Soziologie, Leipzig 1897. B a r t h
identifiziert Stammlers Gesellschaftsbegriff mit jenem Durkheims. Dies muß
wegen der erkenntnistheoretischen Eigenart Stammlers abgelehnt werden. —
Max A d l e r : Kausalität und Teleologie, Wien 1904 (= Bd 1 der Marx-
Studien). Diese scharfsinnige Arbeit ist mir leider erst während der Druck-
legung zugänglich geworden. — Zuletzt ist Max W e b e r (Rudolf Stammlers
„Überwindung“ der materialistischen Geschichtsauffassung, in: Archiv für So-
zialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd 27, Tübingen 1907, S. 94 ff.) mit ge-
wöhnter Schärfe der Gedanken Stammler entgegengetreten; aber der Standpunkt
dieser Polemik, die der Stammlerschen Lehre gänzliche Verworrenheit im Aufbau
und allen Grundgedanken zuspricht, ist meines Erachtens dennoch nicht gerecht-
fertigt. In den meisten Fällen, in denen Max Weber Stammler Absurdität vor-
wirft, handelt es sich doch nur um t e r m i n o l o g i s c h e Verwirrungen bei
Stammler, die allerdings oft recht schlimmer Art sind. Stammler verwendet
nämlich die meisten logischen Termini (z. B. Generalisierung, Subsumierung,
Gesetz), die wir nur für das kausal-theoretische Denken anzuwenden gewöhnt
sind, meist ohne weiteres für die „finale“ Betrachtung und bereitet dadurch
ganz außerordentliche Schwierigkeiten. Der Leser muß bei der Lektüre Stamm-
lers immer und überall vermuten, daß es sich im Zweifel nur um die Er-
örterung des Verhältnisses von Mittel und Zweck handelt. — Auch M ü n -
s t e r b e r g s und G o t t l s erkenntnistheoretische Arbeiten richten sich
(indirekt) gegen Stammler. — M e i n e Arbeiten gegen Stammler und Natorp
sind: Die Lehre Stammlers vom sozialpsychologischen Standpunkt aus betrach-
tet, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd 58, Tübingen 1902;
Albert Schäffle als Soziologe, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft,
Bd 60, Tübingen 1904; Die finale Methode in der Sozialwissenschaft, in: Zeitschrift
für Socialwissenschaft, Jg 8, Berlin 1905.