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sind ihm Massenerscheinungen, bei welchen es sich entweder um eine
„ N i c h t - B e g r ü n d u n g rechtlich-möglicher Beziehungen oder
um eine V e r l e t z u n g der sozialen Regel handelt“
1
. Ist nun das
Recht die Erkenntnisbedingung sozialökonomischer Erscheinungen,
so erscheint sicherlich die Nicht-Begründung rechtlich-möglicher Be-
ziehungen (als Massenerscheinungen, z. B. leerstehende Wohnungen)
als etwas grundsätzlich außerhalb dieser Erkenntnisbedingung Ste-
hendes. Dies beweist schon der Umstand, daß nur die Kenntnis je-
ner Nicht-Begründungen (eben in ihrer Eigenschaft als N i c h t -
Begründungen) möglich ist, welche sich von anderen, gleichfalls
möglichen, aber als s o l c h e niemals zu unserer Kenntnis gelan-
genden Nicht-Begründungen dadurch abheben, daß sie als Massen-
erscheinungen einen abnormalen Zustand gegenüber einem norma-
len darstellen. Es muß uns mit einem Worte die bestimmte Ver-
wirklichung bestimmter, rechtlich möglicher Beziehungen z u v o r
überhaupt bekannt sein. Außerdem ist es der Begriff der D u r c h -
f ü h r u n g der Rechtsordnung, den Stammler hier wieder, wie
ersichtlich, heranziehen muß, von dem wir aber bereits wissen, daß
in ihm schon ein über die Erkenntnisbedingung der Form selbst
hinausgehendes Moment und also ein Widerspruch, ein Dualismus
beschlossen ist. Es werden in ihm Momente des „Stoffes“ in die
„Form“ gemengt! Die Ausfüllung der Form muß jedenfalls etwas
anderes sein als die Form selbst. — Nicht anders ist es mit der
R e c h t s v e r l e t z u n g . Diese stellt sich ja ganz unmittelbar als
etwas den Gesamtzusammenhang rechtlicher (Erkenntnis-) Bedingun-
gen Ü b e r s c h r e i t e n d e s dar. Die Rechtsverletzung liegt (als
Massenerscheinung und Einzelerscheinung) eben jenseits des Rech-
tes
2
. Es ist wieder die Erscheinung der Durchführung im weiteren
1
Rudolf Stammler: Wirtschaft und Recht, a. a. O., S. 278.
2
Der Gegeneinwand: wenn man die im Einzelfalle verletzte Rechtsnorm
wegdenke, so behalte man von der Verletzung dieser Rechtsnorm doch wohl
nichts mehr in Gedanken; also sei das Recht als Erkenntnisbedingung gerade
hier selbstverständlich — ist nicht stichhaltig. Denn dies besagt seinem Sinne
nach nur, daß keine Form ohne erfüllten Inhalt gedacht zu werden vermag —
was wir sonst wohl g e g e n Stammler als Argument zu verwenden geneigt sind,
was aber in diesem Zusammenhange gar n i c h t s s a g t . Denn in der Frage,
wieso die Rechtsnorm Erkenntnisbedingung ihrer eigenen Verletzung sein kann,
handelt es sich nicht unmittelbar um das Verhältnis von Form und Stoff, son-