208
Was Iherings Gesellschaftsbegriff selbst anbelangt, so ist zunächst
wieder festzuhalten, daß Ihering selbst eine Durchführung desselben
im Sinne einer methodologischen Grundlegung der Sozialwissen-
schaft nicht gegeben hat. Soweit das teilweise ja geschehen ist, oder
weiter auf der Hand liegt, gelten grundsätzlich gleiche sachliche
Argumente wie gegen Stammler. Wir wollen uns daher auf die
Hervorhebung des folgenden Gesichtspunktes, der vielleicht in der
vorstehenden Kritik Stammlers nicht genugsam zur Geltung kam,
jedenfalls aber Ihering gegenüber besonders angebracht erscheint,
beschränken.
Durch die Bezeichnung des Gesellschaftlichen als V e r b i n -
d u n g (Zusammenordnung) der Menschen durch ihre gemeinsamen
Zwecke wird ein zweifacher Fehler begangen.
Einmal bleibt unbewiesen, ob und warum nicht das Individuum
als s o l c h e s in seiner (hypothetisch isoliert gedachten) Lebens-
tätigkeit prinzipiell gleichartige Tatsachen hervorbringt wie die, die
mit der Verbindung durch gemeinsame Zwecke als „sozial“ be-
zeichnet werden. Solche Tatsachen sind durch diesen Sozialbegriff
grundsätzlich nicht bezeichnet. Sie dürfen aber jedenfalls nicht
schlankweg aus dem Gebiete des Sozialen verwiesen werden. Die
Tatsachen, die beispielsweise das Thünensche Gesetz beschreibt,
werden natürlich als soziale aufzufassen sein. Trotzdem gilt, wie wir
schon einmal hervorhoben, dieses Gesetz prinzipiell (wenn auch
gewissermaßen nur keimlich) auch für die Lebenstätigkeit eines
Robinson. Noch deutlicher gilt dies für das Gesetz des abnehmen-
den Bodenertrages und die meisten Sätze der Werttheorie
1
.
hältnisse der W e c h s e l w i r k u n g zueinander stehen, ist bei Stammler das
Verhältnis von Form und Inhalt kein kausales Abhängigkeitsverhältnis selb-
ständiger Größen mehr. Alle Wechselwirkung, alle Kausation will damit aus der
Sozialwissenschaft ausgeschaltet sein. Das Verhältnis von Form und Inhalt ist nur
ein solches von logischer Bedingung der Bestimmung (nicht von Bedingung und
Bedingtem), womit die rein teleologische Beschreibung gegeben ist.
1
Der sozialwissenschaftliche Charakter dieser wird allerdings öfters bestrit-
ten, z. B. von F r a n z E u l e n b u r g : Uber die Möglichkeit und die Auf-
gaben einer Sozialpsychologie, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Ver-
waltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, Jg 24, Leipzig 1900, S. 211. —
D a g e g e n möchte ich hier nur auf die strenge innere Einheit von Preistheorie
und „subjektiver Werttheorie“ verweisen. Die erstere ist aber doch wohl un-
zweifelhaft sozialwissenschaftlichen Charakters, also muß es auch die letztere
sein, wenn sie wirklich ein Ganzes bilden.