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nischen Notwendigkeiten des Zusammenlebens folgt, ist es wesen-

haft verschieden von der Moral.

Auch heute noch spielt diese rein individualistische Auffassung des

Rechtes und seine Trennung von der Sittlichkeit eine beherrschende

Rolle.

§ 7. Rückblick

Die bisherigen Darlegungen haben uns den Gedankengang des

Individualismus vorgeführt. Es gilt nun zuerst, ihn voll auf uns

wirken zu lassen. Man soll jede Lehre mit innerem Schweigen an-

hören und ihr mit / Hingabe die guten Seiten abgewinnen. Erst

wenn auf solche Weise der volle Inhalt der Lehre ausgeschöpft ist,

mag sich Prüfung und Widerspruch einstellen. Läßt man den Indi-

vidualismus auf sich wirken, dann ist der erste Eindruck gar leicht

jener der Größe. Denn einmal erscheint er als ein logisch gefügtes,

lückenloses Netz von Begriffen, die in ihrer Weise zu Ende gedacht

sind. Sodann erscheint er als ein Ausdruck von Kraft und Selbst-

bewußtsein. Er hat etwas Himmelstürmendes an sich; in ihm

scheint sich die titanische Seite von Wollen und Streben der mensch-

lichen Natur zu bekunden. Er hat etwas in sich, das uns, die Kinder

der Zeit, unwillkürlich mitreißt. So gesehen, ist gerade er eine Be-

stätigung dafür, daß die wahre Gesellschaftslehre in die Tiefe des

menschlichen Herzens hinabsteigt. Der Individualismus erscheint

dann als ein gewaltiger Versuch, das menschliche Wesen auszu-

schöpfen, den Menschen als kraftvoll-unwiderstehlichen und selbst-

herrlichen Donar-Herakles, als unbeugsamen Prometheus zu er-

kennen, die Gesellschaft danach aufzubauen, das Leben danach ein-

zurichten.

Das am meisten Bestechende, das uns die Einzelheitslehre zeigt,

liegt in dem Gedanken, der unsere Wesenheit als eigenen Schöpfer-

willen erfaßt. Dieser Gedanke gibt uns sozusagen unser Selbst wie-

der in eigene Hut, legt unser Schicksal wieder in unsere eigene Hand

und Verantwortung. Dies ist das Größte, was die Einzelheitslehre

dem Menschen bietet, und was ihr manche große Männer (Nietzsche,

Schopenhauer) zugeführt hat. Das Sprichwort: „Jeder ist seines

Glückes Schmied“, ist nur ein schwacher Abglanz dieser Lehre,

welche das Ganze des Geistes unserem eigenen Wollen und Schaf-

fen überantwortet.