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einzige wesenhafte Lebensbedingung des Einzelnen, denn das
Höchstmaß geistiger Lebensbedingungen bedeutet ja: Selbstgenug-
samkeit, und eben sie ist Freiheit.
II. Das Mindestmaß der Staatsaufgaben
Dem Grundsatze der Freiheit des Einzelnen entspricht umge-
kehrt die möglichste Nicht-Einmischung des Staates. Möglichst viel
Freiheit heißt auf der anderen Seite notwendig möglichst wenig
staatliche Regelung. Der Staat ist wesentlich Schutzverein, sozu-
sagen eine allumfassende Wach- und Schließgesellschaft, nicht aber
Wohlfahrtsanstalt. Er ist „Sicherheitsstaat“, nicht „Kulturstaat“.
Bekannt ist die Verspottung dieses Staates durch Lasalle als „Nacht-
wächterstaat“.
III. Das Recht als Mindestmaß an gegenseitiger Beschränkung
der Freiheit
Nach dem Anarchismus und Machiavellismus kann es streng ge-
nommen Recht überhaupt nicht geben, da im ersteren Falle höch-
stens willkürliche genossenschaftliche Satzung, die in jedem Augen-
blick gebrochen werden kann, im zweiten Falle die Herrscher-
gewalt des Stärkeren entscheidet. Das Naturrecht dagegen muß das
Recht als einen Inbegriff von Mindestregeln des Zusammenlebens
fassen. Recht ist dann: Die „Beschränkung der Freiheit des einen
durch die Freiheit des andern“; es ist die mittlere Linie, wo sich die
Freiheiten der Bürger am wenigsten stören, das Mindestmaß an
gegenseitiger Beschränkung. Ist die Freiheit Wesensbedingung des
Menschen, das oberste politische Gesetz, das unter allen Umständen
gewählt werden muß, dann muß „Recht“ das Höchstmaß an Frei-
heit gewähren und das Mindestmaß entziehen. Die ganze Aufklä-
rung und auch Kant hat diesen individualistischen Begriff des Rech-
tes entwickelt und verfochten. Kant hat auch die Folgerung gezo-
gen: Das Recht, als „heteronom“ oder von außen gesetzt, der Mo-
ral, als „autonom“ oder von innen (durch Gesinnung) gesetzt, ge-
genüberzustellen. Denn wenn Recht nur aus den äußerlichen, tech-