Table of Contents Table of Contents
Previous Page  2197 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 2197 / 9133 Next Page
Page Background

[22/23]

35

Diese Besinnung führt zu der Forderung, den Begriff des Einzel-

nen tiefer, mannigfaltiger zu fassen, als es die geistige „Selbsterzeu-

gung“ ermöglicht: Der Einzelne muß so begriffen werden, daß er

zum Ganzen führt, daß eine w e s e n h a f t e Verbundenheit mit

den anderen Geistern und so mit der Gesellschaff wie mit dem Welt-

ganzen gefunden wird. Es bleibt nur eines übrig, die ungeheure

Kraft, die der Individualist als selbsterzeugende Keimkraft auffaßt,

in den Dienst der Anknüpfung zu stellen. Da ist es nun lehrreich,

daß alle Heraklesdichtungen die Frage der Anknüpfung des indivi-

duellen Schaffens an ein Übergeordnetes, Höheres (also Ganzes) in

den Mittelpunkt stellen. Wenn Herakles seine Taten getan, seinen

ungeheuren Willen vollbracht hat, ergibt sich die Frage: W o z u

w a r d a s a l l e s ? (So bei Euripides.) In dem Augenblick, wo so

gefragt wird, wird schon die eigene Selbstgewachsenheit und Selbst-

genugsamkeit verneint und eine höhere Ordnung gesucht, die die

meinige in sich aufnimmt, die der meinigen Sinn und Wert verleiht.

Mit d i e s e r F r a g e o r d n e t s i c h d e r E i n z e l n e d e m

W e l t g a n z e n e i n . Sie ist, religiös ausgedrückt, die Flucht zur

Gottheit, das Aufgeben des Selbstischen als eines Autarken. Die ein-

zige Aufgabe, die hier vorgezeichnet wird, ist: Die Anknüpfung des

Einzelnen an das Ganze zu finden.

/

Z w e i t e r U n t e r a b s c h n i t t

Der Universalismus

§ 8. Das Wesen des Universalismus oder der Ganzheitslehre

Gewöhnlich wird angenommen, es sei der Universalismus oder die

Ganzheitslehre das gerade Gegenteil des Individualismus; aber eben

das trifft nicht zu. Wenn die Einzelheitslehre sagt: „Der Einzelne

ist alles“, so sagt die Ganzheitslehre nicht: „Der Einzelne ist nichts“,

oder sie muß es wenigstens nicht sagen. Wenn der Individualist

sagt, die Gesellschaft (außer den Einzelnen) sei nichts, so braucht der

Universalist nicht zu sagen, die Gesellschaft sei alles. Daher denn

auch nicht das, was gewöhnlich als Merkmal des Universalismus an-