Table of Contents Table of Contents
Previous Page  2194 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 2194 / 9133 Next Page
Page Background

32

[20/21]

Diesen Eindruck der tieferen Wesenheit der Einzelheits- oder

Selbstheitslehre gilt es festzuhalten, damit wir wissen, was wir auf-

geben und verlieren, wenn wir sie als einen Grundirrtum sollten

verwerfen müssen.

Prüfen wir, so erscheint uns Heutigen auf den ersten Blick hin

die Einzelheitslehre als geradezu selbstverständlich. Warum? Weil

unsere ganze überlieferte Bildung in sie gleichwie in ein Netzwerk

hineingesponnen ist. Im gesamten wirtschaftlichen und politischen

Leben, in unseren Rechts- und Sittenvorstellungen, in den gesamten

Geisteswissenschaften, in unseren Kunstrichtungen — überall herr-

schen individualistische Begriffe und Denkweisen, herrscht die selbst-

heitliche Einstellung vollständig vor. Wir alle haben den indivi-

dualistischen Gedanken schon mit der Muttermilch eingesogen! An-

gesichts solcher Lage der Dinge fordert die Gewissenhaftigkeit von

uns die genaueste Prüfung, damit wir nicht die Beute der Gewohn-

heit werden.

Wo ist nun der wesentliche Fragepunkt? Die verschiedenartigen

praktischen Folgerungen aus den individualistischen Grundvoraus-

setzungen können es nicht sein, denn diese sind ja nur abgeleitet.

Es kann nur die letzte Grundvoraussetzung und die Hochburg des

Individualismus selbst sein, an die sich der Zweifel wendet: Der Be-

griff des absoluten Einzelnen, die Selbstschöpfung, die Selbstgenug-

samkeit! Blickt man nun dieser dionysisch gepriesenen und in der

Tat verführerischen, bannenden Selbstgenugsamkeit auf den Grund

— dann zeigt sich, daß man gerade diesen entscheidenden / Begriff

doch noch weiter verfolgen muß, als er von den Einzelheitslehrern

verfolgt wurde! Es entsteht nämlich die Frage: Wie w i r d d a s

g e i s t i g a u f s i c h a l l e i n G e g r ü n d e t e a n e i n G a n -

z e s a n g e k n ü p f t ? , und zwar an zweierlei Ganze: An das ge-

sellschaftliche Ganze und zuletzt an das Weltganze. An dieser Frage

liegt alles, denn in dem Verhältnis des Individuums zum Ganzen

muß sich bewähren, ob sein eigenes Wesen richtig erfaßt wurde

und ob sich ein begreifliches Verhältnis der Eingliederung ergibt.

Die vollständige Kritik und die entscheidende Einsicht über Wert

und Unwert des Individualismus wird erst später möglich sein, so-

bald wir auch das ihm entgegengesetzte Begriffsgebäude, den Uni-

versalismus, kennengelernt haben; aber die Prüfung der aufgewor-

fenen Zweifelsfrage wird uns bereits über die Grundstellung des