[21]
33
Individualismus belehren. Verfolgen wir zuerst die Anknüpfung des
Einzelnen an das gesellschaftliche Ganze, an den anderen Menschen.
I. Die Anknüpfung des Einzelnen an das gesellschaftliche Ganze
Da begegnen wir einer uns nicht unbekannten Schwierigkeit: Die
Selbstbestimmtheit, die Autarkie ist ihrem Begriffe nach Losgelöst-
heit des Einzelnen von dem anderen, weil sie ja eben die Selbst-
gegründetheit ausspricht. Der Individualismus sieht notwendig das
Reich der Menschheit an als ein Reich isolierter, selbstgenüglicher
Geistigkeiten. Das individualistische Denken stellt die Menschen etwa
in der Art vor, wie wir uns die Bäume im Walde vorstellen könn-
ten. Der einzelne Baum ist etwas, das durch eigene Keimkraft em-
porgewachsen ist, das s e 1 b s t in der Erde wurzelt, sich selbst zum
Gewächs gestaltet. Die Bäume scheinen auch grundsätzlich unab-
hängig voneinander zu wachsen. „Wald“ kann man als eine bloße
Anzahl von einzelnen, selbständigen Wachstumskräften, Wachs-
tumsautarkien, ansehen, gleichwie die Gesellschaft als Summe autar-
ker Geister. Die eigene Keimkraft schafft den Baum, die eigene gei-
stige Schöpfungskraft ist es, die den Menschen sich selbst gibt.
Angesichts einer solchen Vorstellungsweise muß man aber fragen:
Gibt es denn wirklich etwas Geistiges, das so frei in der Welt
schwebt? Es muß doch eine w e s e n h a f t e Verbindung mit an-
deren da sein. Der Baum wurzelt wenigstens in der Erde (er steht
auch in Wahrheit in wesenhaftem Zusammenhange mit der anderen
Pflanzenwelt usw.), der einzelne Geist müßte aber tatsächlich frei
und abgelöst in der Welt des Geistigen schweben, wenn er aus
eigener Keimkraft sich gestaltete! Wir können diesen Gedanken erst
später weiterverfolgen
1
. Aber die Anknüpfung an die anderen Gei-
ster, an das Ganze der Gesellschaft — das erkennen wir nun deut-
lich als die drohende Schicksalsfrage, die der Individualismus be-
antworten muß.
1
Vgl. unten § 11.
3 Spann, 5