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Marx sagt: „Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern

umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.“

1

Gumplo-

wicz sagt: „Der größte Irrtum... ist die Annahme: der Mensch denke. Aus

diesem Irrtum ergibt sich dann das ewige Suchen der Q u e l l e des Denkens

im I n d i v i d u u m , und der Ursachen, warum es so und nicht anders denke . ..

Es ist das eine Kette von I r r t ü m e r n . Denn erstens, was im Menschen denkt,

das ist gar nicht er — sondern seine soziale Gemeinschaft, die Quelle seines

Denkens liegt gar nicht in ihm, sondern in der sozialen Umwelt... und er

k a n n n i c h t a n d e r s d e n k e n als so, wie es aus den in seinem Hirn sich

konzentrierenden Einflüssen der ihn umgebenden sozialen Umwelt mit Notwen-

digkeit sich ergibt. In der Mechanik und Optik kennen wir das Gesetz, wonach

wir aus der Beschaffenheit des Einfallswinkels diejenige des Ausfallswinkels be-

rechnen. Auf geistigem Gebiete existiert ein ähnliches Gesetz, nur können wir es

nicht so genau beobachten. Aber jedem Einfallswinkel eines geistigen Strahles in

unser Inneres entspricht genau ein gewisser Ausfallwinkel unserer Anschauung,

unseres Gedankens, und diese unsere Anschauungen und Gedanken sind nur das

notwendige Resultat der auf uns seit unserer Kindheit eindringenden Einflüsse.“

2

Ein Kommentar solcher Tollheit ist überflüssig.

Hier wird „das Ganze“ als bloße Summe aller gesellschaftlichen

Tatsachen gefaßt, die sich in den Einzelnen gleichsam hineinspiegeln

und ihm eigentlich nur ein Scheindasein einräumen. Dadurch wird

aber das gesellschaftliche Dasein wieder bloß mechanisch gefaßt,

materialisiert und die Selbständigkeit des Einzelnen gänzlich ver-

nichtet. Man kann diesen Universalismus den „mechanischen Uni-

versalismus“ nennen, der kein echter, sondern nur ein Schein-Uni-

versalismus, ein entgeisteter Universalismus ist.

II. Die Lehre von den gesellschaftlichen Trieben des Einzelnen

Nach ihr beruht die Gesellschaft auf den geselligen Trieben der

menschlichen Natur wie: Geschlechtstrieb, Mitteilungsbedürfnis,

Mitleid, Mitfreude und sonstigen „Sympathiegefühlen“.

Für diese Auffassung wird regelmäßig das Aristotelische

Wort vom Menschen als „politisches Tier“, „Zcöov

TK

A

ITIXOV

"

ins

Treffen geführt, völlig mit Unrecht, denn Aristoteles hat dieses

Wort ebenso geistig (als geistiges „Lebewesen“) wie sinnlich gemeint.

Diese Lehre paßt vortrefflich in unser heutiges naturalistisches

Zeitalter, vermag aber eine Erklärung der Gesellschaft nicht zu ge-

1

Karl Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1859, Vorwort.

2

Ludwig Gumplowicz: Grundriß der Soziologie, 2. Aufl., Wien 1905, S. 268.