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IV.

Der kinetische Universalismus oder die Lehre von der

innenkräftigen Ganzheit

[26]

Während die streng Platonische Vorstellungsweise das Ganze als

etwas Fertiges denkt und dessen Einzelnes durch nachträgliche „Teil-

nahme“ an der Idee des Ganzen bestehend, möchte ich davon aus-

gehen, daß das Ganze nie etwas Fertiges ist, sondern immer in Fluß

befindlich, etwas, das sich im Fortgange (Prozeß) erst selber schafft

und aufbaut, was durch und durch ein Werdendes, eine lautere Be-

wegung, ein Uberschäumendes ist, das jede fertige Gestalt in jedem

Augenblick überschreitet; das, wenn es nicht mehr Bewegung wäre,

auch nicht mehr da wäre, weil es ganz dem Gesetze des Lebens un-

terworfen ist. Auch der Organismus ist ja lauteres Leben; in dem

Augenblick, wo er starr wäre, wäre er tot. Die Frage ist nun: Worin

liegt jenes Moment der Lebendigkeit, welches das Ganze schaffen

und immer wieder neu schaffen soll? Wenn wir darauf eine Ant-

wort finden, haben wir auch das Wesen jeglicher Ganzheit erkannt.

Es liegt alles daran, diesen Begriff der Ganzheit zu erfassen und zu

ergründen.

§ 10. Der Begriff des Ganzen im Sinne

des kinetischen Universalismus

Jene Bewegung, von der wir sagten, daß sie „Ganzheit“ in jedem

Augenblick schafft und erbaut, besteht darin: daß alle geistige Wirk-

lichkeit, die im Einzelnen vorhanden ist, nur da ist und entsteht als

ein Auferwecktes. Nur durch Entzündung, Entfachung, Anregung

seitens eines anderen Geistes wird Geist in einem Einzelnen wirk-

lich; nicht durch ein rein selbstbewirktes Hinabsteigen in die Tiefe

der eigenen Seele, sondern nur unter der urspünglichen und ersten

Bedingung, welche das gegenseitige Entzündetwerden von Geist an

Geist ist. Daher ist alles, was Geistiges im Einzelnen entsteht, stets

in irgendeinem (sei es unmittelbaren, sei es noch so mittelbaren)

Sinne ein Widerhall von dem, was ein anderer Geist in ihm anregt.

Dieses heißt nun: Das Geistige im Menschen ist nur in Gemein-

schaft, niemals in sich allein begründet; es ist n i e m a l s v o l l -

k o m m e n d u r c h m i c h , sondern stets zugleich durch eine

(wenn auch noch so mittelbare, aber immer) wesen h a f t e Bezug-