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des (oder auch abbauendes und auch damit änderndes, vielleicht rei-
nigendes, mittelbar weiterbildendes) sich findet.
Sogar das V e r h ä l t n i s z u r N a t u r besteht aus einer sol-
chen geistigen Gemeinschaft, einer geistigen Wechselseitigkeit (wie
wir schon früher berührten). So sehr ist dem menschlichen Geiste
die Gezweiungsform wesentlich, daß auch dem „Leblosen“, der
stofflichen Welt gegenüber Leben entstehen muß, soll überhaupt
eine Beziehung hergestellt werden. Wir müssen sogar das Tote be-
leben, um selbst lebendig zu bleiben. Daher müssen wir auch über-
all, wo Poesie, Gemüt und höhere Ahnung im Spiele ist, die Natur
beseelt denken — der Einsiedler, der Dichter wird so zum wahren
G e m e i n s c h a f t e r der Natur! Man kann hinterdrein sagen,
das sei alles nur Schwärmerei und Selbsttäuschung. Aber wer sich
erhoben fühlt bei der / aufgehenden Sonne, kann es nur, indem er
ein übermächtiges Wesen, eine höhere Gewalt sich erheben fühlt
und „Zwiesprach mit dem Himmel tauscht“. Was auch Aufklärung,
Seelenkunde und mathematische Wissenschaft hinterher darüber be-
finden mögen: gesellschaftswissenschaftlich ist nur die Grunderfah-
rung maßgebend, daß der menschliche Geist nicht anders kann,
denn in Zwiefältigkeiten, in geistiger Gemeinschaft, seine Lebens-
äußerungen zu verwirklichen, und daß diese Bauform der Zwiefäl-
tigkeit der unentbehrliche Segen der Fruchtbarkeit, der Fortbildung
dabei ist. Der Dichter, der uns das der Natur gegenüber am deut-
lichsten gelehrt hat, ist Eichendorff. Überall finden wir bei ihm das
große Wort ausgesprochen, das die Natur uns sagen will. So schon
in der einfachen Frage:
Wer hat dich, du schöner Wald,
Aufgebaut so hoch da droben? —
und dann in der Erkenntnis:
Doch mitten in dem Leben
Wird deines Ernst’s Gewalt
Mich Einsamen erheben,
So wird mein Herz nicht alt.
Hier gilt wie von dem Verhältnis zur Mutter, zu dem Lehrer, zu
anderen Menschen: Wer das Große, Erhabene im Waldesrauschen
gefühlt hat, in dessen Innern ist die Ahnung eines Höheren in der