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Hieraus ergibt sich, welche die Gefahr des individualistischen, wie
des universalistischen Freiheitsbegriffes ist. Die G e f a h r d e s
i n d i v i d u a l i s t i s c h e n F r e i h e i t s b e g r i f f
e
s
i s t
d i e
g e i s t i g e V e r a r m u n g d e s E i n z e l n e n — sei es aus Iso-
lierung oder aus Uberwucherung. Denn ein Höchstmaß an Fürsich-
sein heißt, dem Einzelnen die geistige Lebensluft entziehen. Nur in
dem Mindestmaß geistigen Fiirsichseins liegt ja vielmehr die Ret-
tung des Menschen aus Dumpfheit, Enge und Sonderbarkeit. Eine
zweite Gefahr ist auch die sittliche Neutralität, die dem eigenen
Freiheitsgebrauch sozial zuerkannt wird. Wer Augen hat zu sehen,
kann deutlich wahrnehmen, wie der tiefste Schaden des ganzen
neueren Zeitalters mit seinem individualistischen Geiste (besonders
der individualistischen Völker und Länder, z. B. Amerikas!) in dem
Mangel an geistigen Gemeinschaften, in dem Irrtum liegt, jeder
solle am besten tun, was er wolle, in dem Fehlen von fruchtbarem
Zwang, das geistige Schwächung und Unkultur zur Folge hat. Da-
her ist Äußerlichkeit statt innerer Geistigkeit, Drang nach außen
statt nach Vertiefung das Merkzeichen jeder individualistischen
Entwicklung. — Die Gefahr des universalistischen Freiheitsbegriffes
ist dagegen: Der unheilsame, der u n f r u c h t b a r e Z w a n g :
die starre Bindung, das erfolglose, Leben abtötende Vielregieren.
Soweit die Entwicklung des eigenen Geistes den Zwang als Vorstufe
der Gemeinschaftsbildung fordert, ist es klar, daß die Gefahr des
unglücklich angewendeten Zwanges naheliegt. Wenn z. B. ein musi-
kalischer Vater seinen Sohn zur Musik erziehen (in musikalische
Geistesgemeinschaft hineinzwingen) will, trotzdem dieser unmusi-
kalisch ist, so wird die Anwendung des Zwanges unheilvoll.
III. Die Gleichheit
Hiermit gelangen wir zu dem umstrittensten Begriffe der Gegen-
wart. Kein anderer Begriff spielt heute eine solch entscheidende
Rolle, und doch herrscht in der Theorie der Gesellschaftslehre über
keinen anderen Punkt so viel Unklarheit. Der Grund ist, daß eine
planmäßig zergliedernde Untersuchung dieses Begriffes, die auf die
Grundsätze zurückginge, niemals geführt wurde (ich habe nirgends
eine solche finden können) und dadurch niemals Klarheit erreicht
wurde. Wir müssen daher hier länger verweilen, um unseren spä-
teren Untersuchungen eine feste Grundlage zu schaffen.
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