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Von uns soll niemand der Tüchtigste sein und, wenn es jemand ist,

so sei er es anderswo und bei anderen Menschen.“

1

B. Die G l e i c h h e i t a l s B a u g e s e t z d e r S t a a t s -

o r g a n i s a t i o n b e t r a c h t e t

(Gleichheit als Grund von Atomismus und Zentralismus)

Der Grundsatz der Gleichheit wäre gesellschaftswissenschaftlich

nicht voll verstanden, wenn man nicht seine Folgen für den Aufbau

von Staat und Gesellschaft ins Auge faßte. Diese Folgen klar zu er-

kennen, rechne ich zu den obersten Grundeinsichten der Gesell-

schaftslehre.

/

Wir erkannten, daß die Gleichheit aller Einzelnen zu einem Be-

griffe des Ganzen als Konglomerat führt. Ein Ganzes, das aus lauter

Gleichen besteht, hat nur „homogene“ Bestandteile, das heißt die

Ganzheit wird a t o m i s i e r t (und damit in Wahrheit vernichtet).

Nach naturrechtlicher Vorstellung verzichtet im Staatsvertrage jeder

auf gleiche Rechte, mag er nun ein Genie oder ein Idiot sein; daher

empfängt auch jeder einen gleichen Teil von Rechten und Pflichten

zurück. Der Staat ist jetzt baulich nur eine Summe gleicher Teile,

seine Bürger sind alle zu gleichen politischen Atomen geworden.

Gleichheit führt also zur Vernichtung der organischen Gliederung

von Staat und Gemeinschaft, führt zu ihrer grundsätzlichen

A t o m i s i e r u n g .

Ebenso entscheidend ist nun die umgekehrte Folgerung: die Ato-

misierung aller Bestandteile des Staates bedingt Z e n t r a l i s i e -

r u n g , das heißt eine einzige Zentralgewalt. Uns Heutigen klingt

das so selbstverständlich, und doch ist die zentralistische Auffassung

des Staates falsch bis ins innerste Mark! Wo Ungleiche sich nach

ihrer verhältnismäßigen Gleichheit zu organischen (untereinander

verschiedenen) Gruppen finden, haben diese Gruppen (z. B. die

Zünfte, die Feudalstände, die Kirche) jeweils verschiedene Einord-

nungszentren über sich, es entstehen so verschiedene, das heißt de-

zentralisierte Herrschergewalten, wie wir sie in jedem ständischen

Staate sehen oder auch im menschlichen Organismus, wo Knochen-

1

Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Bd 1, 3. Aufl., Berlin

1912, S. 101 (79).