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zu erreichen — ist es irgendwo gelungen, sie zu verwirk- / lichen?

Ein näheres Zusehen zeigt, daß selbst bei der größten Gewaltsam-

keit volle Rechtsgleichheit stets undurchführbar war: Die Abstufung

der Rechte zwischen Minderjährigen und Volljährigen, Vollsinnigen

und Nichtvollsinnigen (Pflegschaft, Kuratel), Männern und Frauen,

Kindern, Jugendlichen und Alten, zwischen guten und schlechten

Eltern (Aberkennung der elterlichen Fürsorge und ähnliches), zwi-

schen seßhaften und wandernden Bürgern (Unterstützungswohn-

sitz, Heimatrechte und dergleichen), zwischen unbescholtenen und

bescholtenen, politisch vollberechtigten und unberechtigten Bürgern

(Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, ruhende Rechte in-

folge Armenunterstützung), zwischen Inländern und Ausländern,

Vollbürgern und Bürgern besetzter Länder (Elsaß-Lothringen und

Bosnien im früheren Deutschland und Österreich), zwischen proto-

kollierten und nichtprotokollierten Kaufleuten (Handelsgerichte!),

zwischen Angehörigen gleicher und verschiedener Berufsgruppen

(Gewerbegerichte, Sondergerichte, Schiedsgerichte, Standesgerichte

verschiedenster Art!) — diese wie viele, viele andere Abstufungen,

Scheidungen und Gliederungen der politischen und bürgerlichen

Rechte beweisen, daß nicht einmal f o r m a l e Rechtsgleichheit,

ja nicht einmal formale Rechts e i n h e i t durchführbar ist —

wegen der harten, unumstößlichen, endlos vielen Ungleichheiten,

die das Leben an Personen und Sachen macht und machen muß.

Sogar bei formal gleichem Rechte sind aber durch „mildernde Um-

stände“ und Veranschlagungen aller Art große inhaltliche Unter-

schiede sichergestellt. Dieselbe Verletzung der objektiven Rechts-

normen wird beim armen Dieb anders bestraft als beim reichen usw.

Mit dem Begriff der wirtschaftlichen Gleichheit im besonderen

werden wir uns später bei Marx ausführlich zu befassen haben

1

.

Das Vorstehende möge mit einem altgriechischen Zeugen be-

schlossen werden. Das Urteil neuer Schriftsteller wird uns kaum als

unbedingt autoritativ gelten, aber stets bemerkenswert wird es blei-

ben, wie der alte Weise Heraklit eine Demokratie vor mehr als

2000 Jahren beurteilt hat: „Die Ephesier sollten sich, soviele ihrer

erwachsen sind, insgesamt aufhängen . . . , denn den Hermodoros,

ihren tüchtigsten Mann, haben sie verbannt, indem sie meinten:

1

Siehe unten § 21, besonders die Abschnitte 1 und 4.