Table of Contents Table of Contents
Previous Page  2227 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 2227 / 9133 Next Page
Page Background

[44/45]

65

Daß „Gleichheit“, wie sich nun zeigte, ein Mischbegriff ist, ent-

hielte an sich noch kein vernichtendes Urteil, aber daß er logisch

Unvereinbares, daß er Individualistisches und Universalistisches un-

organisch, ohne höhere Einheit mischen will, das ist vernichtend.

Zuletzt noch eine Frage, welche die persönliche Seite berührt: in-

wiefern Gleichheit „Gerechtigkeit“ in sich schließt? Ein so wunder-

licher und widerspruchsvoller Begriff, wie die Gleichheit ist, könnte

keinen Tag lang Ansehen und Geltung bewahrt haben, wenn nicht

im Geheimen unserer Brust etwas für ihn spräche. „Gleichheit alles

dessen, was Menschenantlitz trägt“ — ist es nicht, als ob das Rein-

menschliche nun erst ganz in die Erscheinung träte, als ob eine For-

derung menschlicher Gerechtigkeit damit erfüllt würde?

Und in der Tat! Welch große Wahrheit liegt in diesem Gedanken

— aber in welch seltsamer Vermischung mit grellstem Irrtum!

„Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt", kann, wenn

man es näher prüft, immer nur heißen: „Wir alle sind zuletzt doch

nur Menschen, Menschen, die alle gleich sehr verantwortlich sind

einem höchsten sittlichen und göttlichen Gesetze.“ Aber was liegt in

d i e s e r Gleichheit, die für hoch und niedrig, reich und arm, groß

und klein Gültigkeit hat? Nicht mehr als: Daß Menschenwürde allen

zukommt, dem Verbrecher wie dem Heiligen, dem Genie wie dem

Einfältigen. Gewiß, der Verbrecher, wie der Heilige, beide sind

Menschen, beide haben ein letztes, gleiches Mindestmaß von Mensch-

lichkeit in sich, einen unverletzlichen Kern „Mensch“! Niemals aber

heißt dies: Sie seien gleiche Menschen, oder auch nur: sie seien

g l e i c h s e h r Menschen, denn der Verbrecher / ist weniger

Mensch und mehr Tier als der Heilige. Im Verbrecher auch den

Menschen zu achten, ist gut und recht; ihn aber gleich sehr zu ach-

ten wie den Heiligen, ist unrecht. Solche Gleichheit würde ja ge-

rade die Menschenwürde verletzen! — jene Würde, für die der Ein-

zelne den Wert seiner Persönlichkeit erst einsetzen, die er mit sei-

ner ganzen Kraft erst erringen muß. Niemals den Menschen zu ver-

gessen, auch nicht dort, wo vieles von edler Menschlichkeit (in Ver-

brechern und tierischen Naturen) verloren ging, und in diesem

Mindestmaße sonach allen gleich unverlierbare Menschlichkeit zu-

zuschreiben, ist wohl ein Gebot der Gerechtigkeit, ist Humanität

im wahren Sinne des Wortes; aber das heißt nicht, allen gleich hohe

5 Spann, 5