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Staates“ ein, jenes Staates, der sich überall einmischt, alles regeln will
und schließlich manches zu Tode regelt oder mindestens lästig wird
— das heißt, u n f r u c h t b a r e B i n d u n g e n organisiert. Und
es ist tatsächlich richtig, daß diese Gefahr der Bevormundung, des
Vielregierens und Zu-Tode-Regierens besteht. (Bin Beispiel dafür ist
Platons „Staat“, wo gewiß zuviel regiert wird.) / Grundsätzlich aber
ist diese Gefahr nur für den zentralistischen Staat vorhanden; sie ist
auch praktisch zu bannen, am meisten durch geistige Lebendigkeit,
Vielseitigkeit der Menschen, aber auch durch organisatorische Vor-
sorgen, welche die geistige Beweglichkeit sichern
1
.
Weil die Gemeinschaftsprozesse, welche die Geistigkeit des Individuums erst
aufbatten, in ihrer Fruchtbarkeit gesichert sein müssen, gibt denn auch der Uni-
versalismus ebenso die grundsätzliche M ö g l i c h k e i t z u r R e v o l u t i o n
wie der Individualismus. Freilich sind Bedingungen und Ziele dabei verschieden.
Dem Individualismus handelt es sich immer um die größtmögliche Freiheit, dem
Universalismus kann es sich nur um die Abschüttelung geistig unfruchtbarer Bin-
dungen handeln, zu dem einzigen Zwecke, um in andere, fruchtbarere Bindungen
einzutreten. Revolution ist hier Neubildung von Bindungen, das heißt geistige
Neugestaltung, „Reformation“; sie ist nicht Losbindung, sondern Neubindung.
Die individualistische Revolution aber ist Losbindung, Vergrößerung des Frei-
heitsraumes — Vereinsamung!
VI.
Vom Wesen des Rechtes
Individualistisch ist das Recht, so sahen wir schon, ein Mindest-
begriff, da es angelegt ist auf Regelung der möglichst geringen Be-
schränkung, die der eine durch den anderen in der Gesellschaft fin-
det. Universalistisch ist dagegen das Zusammenleben: Bildung, Er-
höhung des einen durch den anderen, nicht aber Beschränkung, Ein-
engung. Das Recht ist daher, universalistisch aufgefaßt, ein Meist-
begriff (Maximumbegriff), es ist seiner Natur nach auf das Höchst-
maß von Regelung angelegt. Dieser Gegensatz der individualistischen
und universalistischen Rechtsauffassung entspricht dem schon be-
1
Zusatz zur dritten Auflage. Daß der universalistische Staat nicht alles ver-
schlingt, kein Staat der „Omnipotenz“, kein Leviathan ist, vielmehr nur
a r t e i g e n e Aufgaben hat; daß er nicht allen Gebieten des gesellschaftlichen
Lebens vorsteht, vielmehr selbst nur ein ständisches Organisationsgebilde ist,
ein S t a n d , der andere Stände neben sich hat (z. B. die wirtschaftliche und
die kirchliche Standesorganisation), und zugleich H ö c h s t s t a n d ist, das kann
erst in späterem Zusammenhange begründet werden. (Vgl. unten S. 112 ff. und
§ 28; § 29, C, 3.)