72
[49/50]
sprochenen Gegensatze des Mindest- und Höchstmaßes der Staats-
aufgaben, von Sicherheitsstaat und Kulturstaat.
Universalistisch gesehen ist Recht außerdem eins mit Sittlichkeit;
nur was sittlich richtig ist, kann Recht sein. So verlangt es auch die
gesunde Vernunft, während sie das „heteronome“ Recht der Einzel-
heitslehre niemals annehmen kann.
§ 14. Der Individualismus, ein Grundirrtum
Wir haben im vorhergehenden die Erklärungen der menschlichen
Gesellschaft und ihre politischen Grundbegriffe betrachtet. Das Er-
trägnis dieser ganzen Betrachtung wird uns aber durch einen heute
sehr verbreiteten E i n w a n d bestritten, den wir zuletzt noch
prüfen müssen. Ein großer Teil unserer heutigen Gesellschafts- und
Wirtschaftswissenschaftler hält unserer ganzen Untersuchung des Ge-
gensatzes von Individualismus und Universalismus entgegen, daß es
reinen Individualismus und Universalismus kaum irgendwo gebe,
daß die ganze Betrachtung daher wertlos, der Begriffsgegensatz / von
Individualismus und Universalismus ungültig sei. Dieser Einwand
zeigt so recht die Begrifflosigkeit unserer Zeit, ja er kann nicht an-
ders denn unlogisch und außerdem schwachmütig genannt werden,
meistens ist er aber durch Unkenntnis entschuldigt. Ebensogut
könnte man die Sittlichkeit leugnen, weil es immer Verbrechen gab,
ebensogut das Wahre, weil es immer Irrtum gab! Weiter: Wer in die
Geschichte der Staatswissenschaften und des Staates selbst eingedrun-
gen ist, weiß, wie dieser Gegensatz alles und jedes beherrscht, was im
Laufe der Entwicklung in Lehre wie Leben geschieht. Am drolligsten
ist aber das Verhalten derer selbst, die jenen Einwand machen. Sieht
man ihnen bei ihren Begriffsbildungen genauer auf die Finger, so
merkt man, daß sie durchwegs — I n d i v i d u a l i s t e n sind. Al-
lerdings nur verwaschene, eine Klärung ihrer Grundsätze, ein Be-
kenntnis zum Individualismus wäre ihnen unbequem. — Ferner
wird behauptet, Individualismus und Universalismus seien Weltan-
schauungen und daher wissenschaftlich nicht zu beweisen. Daraus
schließt man dann, daß die Einzel Wissenschaften, wie z. B. die Volks-
wirtschaftslehre, damit nichts zu tun hätten. Man merkt nicht, daß
Volkswirtschaftslehre und jede gesellschaftliche Fachwissenschaft un-
möglich ist, ohne ihre Gegenstände und Fragen (bewußt oder unbe-