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Fassen wir zusammen: Indem der Individualismus den Einzelnen
auf sich selbst stellt, ist sein Grundzug die Losreißung von der Welt
des Überindividuellen überhaupt. Der Individualismus ist damit
seinem innersten Zuge nach:
a-metaphysisch, ferner im Gepräge alles Geistigen:
empiristisch,
relativistisch,
subjektivistisch,
induktiv,
kausalwissenschaftlich,
utilitarisch; und endlich in der Politik
kosmopolitisch einerseits (soweit das Verhältnis der
Völker in Betracht kommt),
atomistisch und zentralistisch andererseits, soweit das
innere Gefüge des Staates in Betracht kommt
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Das Ganze dieser geistigen Kultur des Individualismus ist auf
Wissen, auf das von der Erfahrung abgezogene Wissen gestimmt,
das heißt die individualistische Kultur ist:
rationalistisch, ist „Aufklärung“. Und was zuletzt das Gebiet der
Wirtschaft anbelangt, so ist der Individualismus
kapitalistisch, sofern er die Kräfte von innen nach außen drängt,
sofern er Vertreter des freien Wettbewerbes und des freien
Privateigentums ist, statt die Wirtschaft auf Organisierung zu
gründen, wie es z. B. das Mittelalter getan hatte.
Alles in allem genommen, werden vom Individualismus die geisti-
gen Kulturinhalte einesteils veräußerlicht („Nutzen“ statt objektiver
innerer Gültigkeit des Wertes), andernteils rationalisiert. Die geistige
Kultur des Individualismus ist Rationalismus und Wirkung nach
außen, das heißt Z i v i l i s a t i o n — also in Wahrheit keine Kul-
tur! Damit haben wir aber die Gesamtwirkung, die wir seit der gro-
ßen Revolution in unserer geistigen Vorgeschichte am Werke sahen,
klar vor uns, den Kapitalismus! Unser heutiger Kapitalismus und
der Frühkapitalismus des sechzehnten Jahrhunderts sind weder aus
der Bodenrente, noch dem Steigen der Edelmetallgewinnung, noch
aus Luxus, Kriegsgewinn usw. entstanden, wie Werner Sombart
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Hierüber näheres oben S. 68 f.