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Nach alldem liegt der Kulturgehalt des Universalismus klar am
Tage. Indem der Mensch an Ganzheiten, und damit wieder an die
Gültigkeit objektiver, gesamtheitlicher Ideeninhalte gebunden wird,
verwandelt sich seine ganze Einstellung. Das gesellschaftliche und
geistige Ganze, die Idee, ist nun Amme und Bildner des Menschen,
nun gibt es wieder ein Uberindividuelles. Mittelpunkt bin nicht ich,
sondern eine Ganzheit, ein mich Bindendes und damit Erwecken-
des, Schaffendes, ein Primäres außerhalb meiner Person, eine Wirk-
lichkeit über mir. So ist der Zug des Universalismus:
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Objektiv statt subjektiv;
apriorisch statt relativistisch (innere Eigengesetz-
lichkeit der Ganzheiten);
deduktiv statt induktiv;
intuitiv statt empiristisch-sensualistisch (innere
Erfahrung statt äußerer; inneres Wissen statt
der Aufklärung);
Gliederungs- und Zweckwissenschaft statt me-
chanistischer Kausalwissenschaft;
durchsetzt mit Irrationalität statt reiner Herr-
schaft des Rationalen;
metaphysisch statt a-metaphysisch; der Geist ist
mit sich selbst beschäftigt — Zurückdrängung
und Bindung der Wirtschaft;
reine Sittlichkeit statt utilitarischer; in der Wirt-
schaft ständisch statt kapitalistisch.
Auch die Natur der „Wissenschaft“ ist also nun eine andere. Es
ist nun sinnlos, die Wissenschaft als bloße Summe wechselnder Er-
fahrung zu betrachten, sondern das Logische als ein Kategorial-
Objektives, Apriorisches ist nun das Wesentliche. Die Erfahrung
wird sich immer ändern, aber die apriorische Natur des Logischen
verleiht der Wissenschaft stets einen festen Halt, eine überindivi-
duelle Eigenschaft. Der Utilitarismus ist tot. Wahr ist nicht, was
nützt, sondern: Was wahr ist, ist es kraft der Natur des Wahrseins.
Auf solche Weise ist die universalistische Einstellung in vielem
ein Gegenteil der individualistischen. Die Gezweiungskreise schlie-
ßen nun eine eigene geistige Realität in sich. So entsteht wieder
Zutrauen — Autorität — Bindung an die Idee, Innerlichkeit als