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gegen die Natur der Dinge sind, die daher, das sieht heute schon
jeder, eine schlummernde Krise, für ganz Europa neue kriegerische
Verwickelungen bedeuten.
Wenn wir Deutschösterreicher zuerst auf uns selbst blicken, so
dürfen wir nicht bloß klagen, wir müssen dem Geschick auch aus
warmem Herzen danken. Eine schmerzliche, aber heilsame Fügung
hat uns frei gemacht — frei und ledig unserer undankbaren, zuletzt
auch unlösbar gewordenen Aufgabe im alten Österreich, nämlich
der Aufgabe, eine Anzahl kleiner slawischer Völker zu einem gro-
ßen Kulturstaate zusammenzuzwingen; und damit frei und bereit,
glühenden Herzens in unser altes Heimathaus zurückzukehren. Wir
harren der Stunde, da wir ausrufen werden: Alle Nord- und Süd-
stämme, die einigen Brüder des deutschen Hauses!
Nicht nur wir, auch das deutsche Volk als Ganzes kann von dem
Ziele des Zusammenschlusses nicht ablassen, solange die Natur nicht
in ihm erstickt und vergiftet ist. Wie schön sagt Rückert:
Vor jedem steht ein Bild dess’, was er werden soll,
So lang’ er das nicht ist, wird nicht sein Friede voll.
Dieses Bild der Einigkeit von Süd und Nord schwebt uns Deutsch-
österreichern, schwebt jedem deutschen Herzen vor, es führt, es
leitet uns und wird uns nicht verlassen, bis wir das Ziel erreicht
haben.
Die zweite offene Wunde am deutschen Volkskörper, der mäch-
tigste Bestandteil der staatenpolitischen Krise Europas, ist die Un-
terjochung vieler Millionen deutscher Volksgenossen von allen
Nachbarn Deutschlands. Die Alemannen im Elsaß und in Lothrin-
gen, die Bajuwaren in Südtirol, Südsteiermark und in Westungarn;
ganz besonders dann die dreieinhalb Millionen Deutschen, die in
Schmach und Schande unter der blutigen Peitsche der halb avari-
schen Tschechen leiden (denn die Tschechen, welche von den Polen
die Buckligen in der slawischen Familie, von den Ukrainern die
Juden unter den Slawen genannt werden, sind ein von Avaren
durchsetzter Volksstamm, wie jedermann, der in Böhmen reist,
schon auf der Straße sehen kann); dann die Deutschen in Schlesien,
Posen, Westpreußen, Ostpreußen und endlich auch jene in Schles-
wig-Holstein — alle diese Schmach unserer Brüder in fremdem
Joche wird es uns nicht erlauben, uns in Ruhe und Frieden häuslich /