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tische Freiheiten in jeder Form, Freihandel, Gewerbefreiheit (wo

nicht gerade die Sozialisierung in Betracht kommt), Berufsfreiheit

waren von jeher Grundforderungen der Marxisten. So erscheint der

marxistische Sozialismus schon der äußeren Betrachtung e i n e r -

s e i t s a l s d e r m ä c h t i g s t e W i d e r s a c h e r d e s L i b e -

r a l i s m u s , a n d e r e r s e i t s a l s d e s s e n m ä c h t i g s t e r

H e l f e r , politisch wie theoretisch. Ich möchte es jetzt schon aus-

sprechen, daß der Marxismus nach meiner Auffassung kein echt uni-

versalistisches Gedankengebäude, auch keine eigene Art der Gesell-

schaftserklärung ist (es kann ja nur die beiden letzten Grunderklä-

rungen des Individualismus und Universalismus geben), sondern

eine M i s c h f o r m v o n I n d i v i d u a l i s m u s u n d U n i -

v e r s a l i s m u s . Da wir später in einem anderen Zusammenhange

die genaue Darstellung und Kritik des marxistischen Sozialismus

geben werden

1

, möge mit der bloßen Erwähnung des Sozialismus

als des dritten großen politischen Gedankenkreises unseres Zeitalters

an dieser Stelle genug getan sein.

Hier ist auch der Ort, einer anderen, ähnlich zwiespältigen, zwi-

schen Individualismus und Universalismus stehenden Bewegung zu

gedenken, die ein kennzeichnender Bestandteil unseres Zeitgeistes

ist: des G e n o s s e n s c h a f t s w e s e n s . Das Genossenschafts-

wesen hat sich, in mannigfachen Formen und aus mannigfachen

Wurzeln gespeist, im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr aus-

gebreitet. Robert Owen, Louis Blanc, Mario, Lassalle, Schultze-

Delitzsch, Victor Aimé Huber, „die Pioniere von Rochdale“, das

sind die Personen, an die sich die verschiedenen genossenschaftlichen

Bewegungen vornehmlich anknüpfen. Diese Namen zeigen schon

die mangelnde theoretische und praktische Einheit an. Universali-

stisch gerichtet ist nun jede Genossenschaftslehre notwendig insofern,

als sie an die Stelle der freien, unorganisierten wirtschaftlichen „Be-

ziehungen“ der Einzelnen eine Organisierung dieser Beziehungen

setzt, eben eine Genossenschaft, einen Verband. Sofern aber diese ge-

nossenschaftlichen Verbände als „Selbsthilfe“ (= Selbsthilfe der Ein-

zelnen) aufgefaßt wurden, was ganz vorwiegend der Fall war, sind

sie durchaus individualistisch konstruiert, und sind sie auch in eine

individualistisch gedachte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ein-

1

Siehe unten § 20, S. 138 ff.