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stungsfähigkeit der sozialisierten Wirtschaft erzielen wie der freien,
ja denselben Fortschritt der produktiven Kräfte erreichen, wie in
der kapitalistischen Lebensordnung. Diese Meinung verkennt gänz-
lich die geistigen Triebkräfte, welche die äußeren Mittel unseres
heutigen Lebens unaufhörlich bewegen. Das kann nur geschehen,
wenn alles Geistige unseres Lebens sich auf die Äußerlichkeit richtet.
Wenn wir aber auf Innerlichkeit und auf Bindung der Wirtschaft
durch Organisierung oder „Sozialisierung“ hinsteuern, so müssen
wir wissen, daß wir ärmer werden! Beides kann die Geschichte nicht
leisten, beides gibt uns das Schicksal nicht: Mehr inneres Leben,
mehr Geistigkeit und zugleich mehr wirtschaftlichen Reichtum,
mehr wirtschaftliche Entwicklung. So ist die Welt nicht eingerich-
tet. Die Geschichte mißt beides mit ihrer unbestechlichen Gold-
waage zu und gibt vom Inneren nur, indem sie vom Äußeren
nimmt.
Der verhängnisvolle Irrtum, daß dies anders sei, wurzelt in dem
dritten Ideenkreise, dem Sozialismus.
III.
Der sozialistische Ideenkreis. Genossenschaftswesen und
Verwandtes
Der Sozialismus hat die größten Wirkungen hervorgebracht und
nimmt den größten Raum im geistigen Leben des Jahrhunderts ein.
Der Sozialismus hat sich im Laufe der Zeit in verschiedenen For-
men und Lehrgebäuden entwickelt. Maßgebende Geltung hat aber
zuletzt nur der M a r x i s m u s erlangt, der sich selbst als das ein-
zige „wissenschaftliche System des Sozialismus“ bezeichnet, sich als
das Ergebnis einer Entwicklung, „von der Utopie zur Wissenschaft“,
wie Engels, der Mitarbeiter Marxens, sagt, betrachtet. — Der Sozia-
lismus stellt sich in der praktischen Politik dem wirtschaftlichen In-
dividualismus (Kapitalismus) heftig entgegen mit seinem Programm
des schrittweisen Arbeiterschutzes sowohl (worin er allerdings nur
Sozialpolitik, nicht eigentlich Sozialismus treibt), wie besonders mit
den Bestrebungen nach „Kollektivierung“ oder „Sozialisierung“ der
Güter- / erzeugung. In dieser Weise wirkte und wirkt er als mäch-
tige universalistisch geartete Zeitströmung. Daneben aber hat er po-
litisch immer streng liberale Grundsätze verfolgt und verfolgt sie
auch noch heute, nach der Revolution. Äußerste Demokratie, poli-